Etatverteilungsmodelle für Hochschulbibliotheken – Ergebnisse zweier Workshops in Regensburg und Gießen im November/Dezember 2016
Die Konzeption eines Etatmodells zur internen Mittelverteilung stellt Verantwortliche in Hochschule und Bibliothek vor vielfältige Herausforderungen. Die eigentlich einfache Frage „Wer erhält wieviel Geld und wofür“ rührt an die Grundfesten der Aufgaben- und Mittelverteilung. Damit berühren Etatmodelle immer das komplexe Macht- und Beziehungsgefüge innerhalb der Hochschule, der Fächer und der sie vertretenden Personen mit ihren jeweiligen subjektiven Interessen, Ansprüchen und oft genug unzureichenden Finanzmitteln. Es liegt daher auf der Hand, dass Etatmodelle in Hochschulbibliotheken ein per se konfliktträchtiges Handlungsfeld sind – lässt sich doch das Verhältnis von abstraktem Bedarf, real verfügbaren Mitteln und schließlich de facto akzeptierten Verteilungsschlüsseln nicht immer konfliktfrei und für alle zufriedenstellend klären. Denn wie soll der von allen Beteiligten erhobene, aber selten einvernehmlich verstandene Anspruch einer Verteilungsgerechtigkeit in der Praxis zeitgemäß umgesetzt werden? Die Erarbeitung eines konsensualen Etatmodells als Instrument der Budgetierung und Kostenkontrolle ist somit eine ausgesprochen ambitionierte Aufgabe.
Vorbei die Zeiten, als man mittels ausgefeilter Etatbedarfsmodelle die Literaturmittel für Monographien, Zeitschriften und Datenbanken mit einer überschaubaren Zahl von Parametern und anderen Kenngrößen auf die einzelnen Fächer „gerecht“ verteilen und sich für die Bedarfsermittlung verschiedener Indizes bedienen konnte, welche die Preisentwicklung und die durchschnittlichen Kosten pro Literaturart, Fach bzw. Sprachgebiet ermittelten und zueinander in Bezug setzten. Dabei bot das Bayerische Etatmodell seit fast fünfzehn Jahren und in seiner „aktuellen“ Fassung von 2010 vielen Bibliotheken ein wichtiges Vorbild und die Vorlage für eigene Verteilungsmodelle in ihren Häusern, obwohl auch in diesem Modell die Berücksichtigung der elektronischen Medien noch nicht zufriedenstellend gelöst worden war.1 Mittlerweile hat sich die Situation rund um die elektronischen Medien so grundlegend geändert, dass sich in zahlreichen Bibliotheken die Frage nach einer Neukonzeption der Mittelverteilung und der Erarbeitung von alternativen Verteilungsmodellen stellt.
Damit ist auch das große Interesse zu erklären, welches jeweils mehr als vierzig Teilnehmende in zwei Workshops der VDB-Landesverbände Bayern und Hessen am 09.11.2016 und 20.12.2016 in den Universitäten Regensburg und Gießen zu einem intensiven kollegialen Austausch zusammenführte. Die Veranstalter griffen damit ein Thema wieder auf, welches letztmalig 2012 ein zweitägiger Workshop der dbv-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung unter dem Thema „Etatmodelle für das digitale Zeitalter“ in Berlin behandelt hatte.2
Ein Etatmodell für alle Medienarten und den gesamten Literaturetat oder mehrere medien-spezifische Verteilmodelle?
Waren Etatverteilungsmodelle bislang auf die Verteilung der gesamten oder des weitaus überwiegenden Teils des Literaturetats ausgelegt gewesen, so zeichnet sich hier eine Veränderung ab, und es stellt sich die Frage, ob Etatmodelle für die Aufteilung des Gesamt-Etats noch zeitgemäß oder ob Verteilungsmodelle nur noch für einzelne Fach- oder Medienausschnitte praktikabel sind. Eine Entwicklung, die vor allem durch den rasant angewachsenen Anteil der elektronischen Medien an der Literaturversorgung an Fahrt gewinnt und die Sinnhaftigkeit tradierter Etatmodelle zunehmend in Frage stellt.
Dies sind auch Aspekte, die Franziska Wein (UB Erfurt) in ihrem Vortrag „Etatverteilung und Mittelallokation im Kontext des Medienwandels“ behandelt und im Zusammenhang mit den Überlegungen zur Aktualisierung des Etatmodells an der UB Erfurt für Zeitschriften und Datenbanken erläutert. Hier sorgt die zunehmende Bindung der Mittel in Konsortien für erheblichen Anpassungsdruck. Dabei steht in Erfurt ein grundsätzlich neues Etatmodell für die nicht in fachübergreifenden Paketen vertriebenen Zeitschriften und Datenbanken zur Diskussion, welches mit einer bedarfsorientierten Komponente mit externen Referenzparametern (Bayerisches Etatmodell 2010: Anzahl der Zeitschriftentitel pro Fach) eine Deckelung der Ausgaben ermöglichen und mit hochschulinternen Parametern (Anzahl Wissenschaftler/innen, Publikationsaufkommen) das lokale Nutzungspotential abbilden könnte.
Indem in den Bibliotheken immer mehr Mittel für den Abschluss globaler Konsortial- und Allianzverträge gebunden werden und Anbieter ihre Produkte nur noch nach dem Datenbankmodell und losgelöst von einer fachlichen Zuordnung und nicht mehr auf Basis einzelner Titel vertreiben, wird die gewohnte Fachzuordnung der Kosten obsolet bzw. erfordert neue, komplizierte und oftmals zeitaufwendige Verfahren für deren Zuordnung. Eine Entwicklung, die mit einem zukünftigen Abschluss von DEAL-Verträgen mit den drei größten globalen Wissenschaftsverlagen die Sinnhaftigkeit differenzierter Verteilungsmodelle grundsätzlich in Frage zu stellen vermag. Hat sich eine Institution mit der weitgehenden Bindung ihrer Mittel in wenige globale Verträge erst einmal ihrer finanziellen Handlungsoptionen beraubt, so stellt sich unter dem Primat des Faktischen die Frage eines Etatmodells und einer „gerechten“ und alle Disziplinen gleichermaßen berücksichtigenden Verteilung vielleicht gar nicht mehr. Dennoch bleibt es eine grundlegende Herausforderung jedes Verteilungsmodells, dass sich die fachliche Struktur einer Hochschule im jeweiligen Etatmodell bzw. in der konkreten Mittelverwendung widerspiegeln muss.
Vorwegabzüge – pro und contra
Die weitverbreitete Tendenz, bereits vor Erarbeitung eines Etatverteilungsmodells wesentliche Vorwegabzüge für die Bedienung konsortialer und sonstiger fachübergreifender Verpflichtungen im Bereich der elektronischen Medien vorzunehmen, ist mit Blick auf ein schlüssiges und transparentes Verteilungsmodell zwar unbefriedigend, bietet jedoch auch Chancen. Jedenfalls dann, wenn diese Mittelabzüge gegenüber den Verantwortungsträgern in Hochschule und Bibliothek hinsichtlich ihres Verwendungszwecks transparent dargelegt oder in ihrer Verwendung zumindest virtuell einzelnen Fächern bzw. Fachbereichen als „Verursacher“ der Kosten zugeordnet werden können. Die Fixierung des finanziellen Status quo zum Zeitpunkt des Umstiegs auf ein bestandsunabhängiges Modell ist dabei nur eine und mit den Jahren zunehmend unbefriedigende Möglichkeit, die bisherigen Kostenstrukturen in die neue Zeit zu retten. Vielversprechender erscheinen da Konzepte einer virtuellen Zuordnung der Kosten auf Basis der Nutzung dieser Medien nach Fachgebiet innerhalb der jeweiligen Einrichtung. Ein Modell, wie es auch Johanna Dammeier (UB Tübingen) mit ihrem Vortrag „Ein neues Kostenverteilmodell für Zeitschriftenpakete großer Verlage an der UB Tübingen“ vorstellte. So ergab sich nach dem Abschluss von Landeslizenzen für die Verlage Elsevier und Springer für die Hochschulbibliotheken in Baden-Württemberg die Notwendigkeit der Zuordnung der fachspezifischen Kosten auf die einzelnen Fachbereiche. In der zweischichtig organisierten Universitätsbibliothek Tübingen werden die Kosten für diese Landeslizenzen und weitere konsortiale Zeitschriftenpakete (Wiley, Oxford University Press, Cambridge University Press, de Gruyter) zwischen der zentralen Bibliothek und den Fachbereichen aufgeteilt. Dabei bildet die EZB-Fachklassifikation die Grundlage für die Zuordnung der einzelnen
Titel zu den Fächern bzw. Fachbereichen und der auf sie entfallenden Kosten, wobei interdisziplinäre Titel gesplittet verschiedenen Fächern zugerechnet werden. Die tatsächlichen Kosten pro Fach setzen sich dann aus den Faktoren Nutzung (80 %) und Wissenschaftler-Vollzeitäquivalente (20 %) zusammen. Mit programmierten Statistikabfragen aus den Komponenten Paketliste, Journal Report 1, EZB-Klassifikation und ISSN lassen sich die Nutzungszahlen automatisiert ermitteln und damit den Fachbereichen zuordnen. Während dieses Modell eine transparente Zuordnung der Kosten in die Organisationstruktur der Universität ermöglicht, muss die Einbeziehung neuer Forschungscluster und Fächer im Einzelfall noch gelöst werden. Perspektivisch soll in Tübingen eine Zusammenlegung zentraler und dezentraler Literaturetats die bisherige Aufteilung der Beträge innerhalb einer Fakultät langfristig überflüssig machen.
Nutzung als Kriterium der Mittelverteilung?
Die Einbindung von Nutzungszahlen als Parameter für eine Mittelverteilung und entsprechende dynamische Etatverteilungsmodelle war auch ein wichtiger Aspekt des Vortrags von Konstantin Hermann (SLUB Dresden) über die Etatverteilung an der SLUB Dresden. Während dort nur noch ca. 10 % Mittel nach der Vorlage des Bayerischen Etatmodells für Monographien und einzelne E-Books auf die Fächer verteilt sind, werden für das Gros der fortlaufenden Medien und E-Medien-Pakete nutzungsbasierte Parameter verwendet. So werden für nutzergesteuerte E-Book-Erwerbungsmodelle (DDA, EBS) die Mittel zunächst pauschal reserviert und erst am Jahresende entsprechend der Nutzung den einzelnen Fächern als Kosten zugeordnet. Auch die Weiterführung von Zeitschriftenpaketen wird anhand ihrer Nutzung evaluiert und entschieden. Eine steigende Interdisziplinarität und Dynamik der Forschung sowie die zunehmende Trennung der Informationen von den Trägermedien sind wesentliche Gründe, warum sich die SLUB Dresden vom klassischen Modell eines statischen Etatverteilungsmodells löst. An deren Stelle tritt eine flexible, dynamische Etatverteilung, deren Zukunft dann wohl in einer Kostenabrechnung auf Artikelebene, der Berücksichtigung bibliometrischer Daten sowie der Einbeziehung von Open-Access-Publikationsgebühren liegen werden. Alles mit dem Ziel, die Etatverteilung anhand der tatsächlichen Forschungsleistungen und des realen Literaturbedarfs innerhalb eines Fachbereichs bzw. einer Forschungseinheit transparent abzubilden.
Open-Access-Publikationskosten und bibliometrische Daten – Parameter für ein zeitgemäßes Etatmodell?
In welcher Weise die Dynamik eines veränderten wissenschaftlichen Publikations- und Rezeptionsverhaltens seinen Niederschlag in der Erarbeitung moderner Etatmodelle findet, wird sich auch in der Transformation vom subskriptions- zum autorenfinanzierten Veröffentlichungsprinzip und den damit einhergehenden, die bisherigen Subskriptionsgebühren ersetzenden Publikationskosten zeigen. Dass sich hier zukünftig massive Veränderungen im Verhältnis der Ausgaben zwischen Subskriptionen und Publikationsgebühren ergeben werden, ist unstrittig, wenngleich dies momentan noch nicht für alle Fachdisziplinen gleichermaßen relevant ist. Auch die Frage, inwieweit diese Publikationskosten als zusätzliche Kosten oder in Kompensation zu bisherigen Erwerbungsausgaben in neue Etatmodelle integriert werden können, ist aktuell noch ungelöst. Einig waren sich die Diskutant/inn/en in Regensburg und Gießen in der Einschätzung, dass mit dem Abschluss von bundesweiten DEAL-Verträgen derartige Publikationsgebühren für die großen Verlage automatisch Eingang in die Verteilungsmodelle finden werden und es in Zukunft zu einer zunehmenden Verlagerung hin zu diesen Kosten kommen wird. Dennoch gibt es auch Argumente, die dafür sprechen, die Open-Access-Publikationskosten als Teil der Forschungskosten zu verorten. Schließlich hat für forschungsstarke Hochschulen die Anzahl der Publikationen einen unmittelbaren „negativen“ Einfluss auf die Kosten für die Literatur. Hier gilt es entsprechende Modelle zu entwickeln, die für einen finanziellen Ausgleich zwischen Produzenten und Empfängern sorgen.
Die Einbeziehung bibliometrischer Daten hinsichtlich des Publikations- und Zitationsverhaltens wurde in den Diskussionen in Regensburg und Gießen als eine im Prinzip sinnvolle und innovative Erweiterung traditioneller Etatmodelle begrüßt, doch zeigten sich zugleich auch Vorbehalte. Diese betrafen die aktuell noch fehlende allgemeine fachliche Abdeckung publikationsbezogener Daten, insbesondere in den Geisteswissenschaften, sowie die durch die unterschiedlichen Publikationskulturen bedingten Probleme einheitlicher oder vergleichbarer Bewertungsstandards. Auch wurde auf einen Paradigmenwechsel aufmerksam gemacht, der mit der Berücksichtigung bibliometrischer Daten den Wandel von einem fall- und bedarfsorientierten Etatverteilungsmodell zu einem tendenziell „belohnenden“, leistungsorientierten Modell vollzieht, welches die Forschungsleistung bei der Mittelvergabe gezielt honorieren will.
Der Faktor Mensch – oder: wenn das Modell auf die Wirklichkeit trifft
Die Motivation zur Konzeption eines oder eines neuen Etatmodells erfolgt nicht selten auf Initiative der jeweiligen Hochschulleitung. Die Unzufriedenheit mit den historischen Verteilmechanismen macht eine Veränderung einer historisch gewachsenen Etatverteilung oder die Anpassung existierender Etatverteilungsmodelle an neue strukturelle Rahmenbedingungen erforderlich. So war es auch an der Universitätsbibliothek Konstanz, wo ein langjähriges Etatmodell durch ein aktuelles und transparenteres abgelöst wurde. In ihrem Vortrag erläuterte Anne Otto (Kommunikations-, Informations- und Medienzentrum Konstanz) das neue Konstanzer Etatmodell und stellte die wesentlichen Parameter der Literaturverteilung vor, die in ein nachvollziehbares und mit vertretbarem Arbeitsaufwand erstelltes Modell flossen. Prüfkennzeichen für in Frage kommende Parameter waren deren Messbarkeit, Erhebungsaufwand, Aussagekraft und Akzeptanz. Aus der Vielzahl der Parameter blieben zwei übrig: Die Personenzahlen, getrennt nach Wissenschaftler/inne/n und Studierenden, sowie die Organisationseinheiten. Dabei behalf man sich auch in Konstanz für die fachlich übergreifenden Ausgaben für elektronische Medien in Konsortien mit einem Vorwegabzug. Die Beschränkung auf wenige Kennzahlen sowie deren unmittelbarer Bezug zu den universitären Organisationseinheiten sollten sowohl die Transparenz und damit auch die Akzeptanz der neuen Etatverteilung innerhalb der Universität sicherstellen.
Doch wie erreicht ein Etatmodell breite Akzeptanz? Die Berücksichtigung einer Vielzahl unterschiedlicher Kennzahlen der externen Literaturproduktion und des internen Fächerbedarfs nach dem Vorbild des bayerischen Etatmodells, ggf. ergänzt um zusätzliche Parameter wie Nutzung, bibliometrische Kennzahlen und Einbeziehung der Open-Access-Publikationskosten, bilden sicher eine solide, sachlich fundierte Grundlage. Diese kann von den Entscheidungsträgern aufgrund der Vielzahl der Parameter aber als zu komplex und intransparent empfunden werden. Außerdem steht mit zunehmender Komplexität die Relation zwischen Aufwand und Ertrag eines Etatmodells ebenso in Frage wie die Option, das Modell an geänderte Rahmenbedingungen anpassen zu können.
Dies waren auch die Aspekte, die Uwe Stadler (UB Wuppertal) am Beispiel einer Prozess- und Ergebnisanalyse zur Konzeption eines Etatmodells an der UB Wuppertal in den Mittelpunkt seines Vortrags stellte. Dort war man nach intensiver Diskussion mit der Hochschulleitung zum Ergebnis gekommen, dass nicht eine Vielzahl möglicher Parameter, sondern deren Beschränkung auf den Faktor wissenschaftliches Personal und Studierende – im „willkürlich“ bzw. politisch festgelegten Verhältnis von 30 : 70 – die Grundlage für ein breit akzeptiertes Verteilungsmodell bilden sollte. Hier war es neben der Beschränkung auf einen Parameter vor allem die Einigung hinsichtlich der Gewichtung innerhalb des Parameters, die schließlich zu einer Lösung führte. Nichtsdestotrotz sind auch in Wuppertal noch Fragen offen. Eine berührt die Problematik des Grund- bzw. Finanzbedarfs bestimmter Fächer, der sich auf Grund der Preiskalkulation einiger Anbieter von E-Medien einer Berücksichtigung auf Basis von Verteilungsschlüsseln entzieht.
Die Beispiele Konstanz, Erfurt und Wuppertal zeigen, dass die Arbeit an und mit einem Etatverteilungsmodell abseits aller inhaltlich oder formal begründeten Parameter und Kennzahlen immer auch – und vielleicht sogar wesentlich – ein sozialer und politischer Prozess innerhalb der Hochschule unter Einbeziehung einer Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Interessen ist. Mit anderen Worten: Irgendwann trifft das Modell auf die Wirklichkeit – und am Ende eines solchen Prozesses sind es dann mitunter primär hochschulpolitische, sachfremde Kriterien, die den Ausschlag für eine von der reinen Modellierung über rationale Parameter abweichenden Kompromisslösung geben.
Braucht jedes Modell einen Manipulationsschlüssel?
Offenbar ja! Ganz gleich, ob man diesen als „Ausgleichsfaktor“, Anpassungsschlüssel“, „Gewichtungskoeffizienten“ oder auf andere Art umschreibt. Schließlich bedeutet die Verabschiedung eines neuen oder aktualisierten Etatmodells immer einen Eingriff in bestehende und oft über längere Zeiten gültige Verteilungsschlüssel. Ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit und ein Umschichten größerer Etatmittel sind kaum konsensfähig und damit nur schwer durchsetzbar. Grundlegende Veränderungsprozesse, so sie denn gewollt sind, bedürfen daher einer Politik der kleinen Schritte, die sich in der Einführung ebensolcher Ausgleichsfaktoren, Übergangs- und Anpassungsszenarien oder im Einsatz von zusätzlichen Mitteln zeigt und dafür sorgt, dass die Abweichungen vom gewohnten Status Quo in Grenzen gehalten oder über eine längere Übergangszeit abgefedert werden.
Die Verabschiedung eines Etatmodells erfordert daher neben inhaltlich-fachlicher Expertise ein gehöriges Maß an politischem Fingerspitzengefühl. Die enge Einbindung der Fachreferentinnen und Fachreferenten in die konzeptionelle Erarbeitung eines Etatmodells ist daher nach Auffassung der Teilnehmenden in Regensburg und Gießen eine wichtige Voraussetzung, um mit Blick auf unterschiedliche Fachkulturen und Literaturbedarfe die Auswahl und Gewichtung der Parameter sowie die Ermittlung des Grundbedarfs angemessen vornehmen und damit zur Akzeptanz des Etatmodells maßgeblich beitragen zu können.
Dabei ergaben sich folgende Kernpunkte eines Anforderungsprofils an Etatmodelle:
1. Anforderungen an die Erarbeitung und Umsetzung eines (neuen) Etatmodells
• Vereinbarung zwischen Hochschule und Bibliothek über Zielsetzung und Anwendungsbereich des Etatmodells
Eine gemeinsame Position zur Zielsetzung und inhaltlichen Konzeption ist Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung und Akzeptanz eines Etatmodells innerhalb der Hochschule. Dazu gehört auch das Einvernehmen darüber, ob und inwieweit die Entscheidungsträger Veränderungen mittragen und größere Verwerfungen zwischen den Fachgruppen/Fächern bereit sind durchzusetzen. Für mehrschichtige Bibliotheksysteme muss entschieden werden, in welchem Verhältnis zentrale und dezentrale Mittel in das Etatmodell einbezogen werden. Sinnvoll erscheint mit Blick auf die Realisierungschancen die Einbeziehung der lokalen Historie der Mittelverteilung in die konzeptionellen Überlegungen.
• Berücksichtigung aller regulären Haushaltsmittel sowie laufend zugewiesener Sonder- und Drittmittel
Dies schließt auch die in einigen Bundesländern vorhandenen zusätzlichen Qualifizierungsmittel sowie Studienzuschüsse mit ein. Einmalig zugewiesene oder projektbezogene Drittmittel sollten keine Berücksichtigung finden.
• Vorwegabzug für konsortial finanzierte E-Medien „big deals“ und/oder andere interdisziplinäre Pakete
Ein Vorwegabzug für konsortial oder interdisziplinär finanzierte laufende Verpflichtungen erscheint in vielen Fällen sinnvoll. Dabei sollten die dem Vorwegabzug zugrundeliegenden Kriterien transparent erläutert werden und eine zumindest virtuelle finanzielle fachliche Zuordnung ermöglichen.
• Berücksichtigung des fachlichen Grundbedarfs in Ausnahmefällen
Nicht in allen Fällen führt eine über Kennzahlen ausgewiesene Mittelverteilung zu einer angemessenen Berücksichtigung des Grundbedarfs eines Faches. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn fachspezifische Besonderheiten wie ein überdurchschnittliches Preisgefüge das im Modell vorgesehene Budget übersteigen. Die Sicherstellung eines speziellen fachlichen Grundbedarfs sollte aber im Etatmodell berücksichtigt und im Einzelfall außerhalb des durch Kennzahlen ermittelten Bedarfs gewährleistet werden. Denkbare Maßnahmen wären eine Überführung derartiger Ausgaben in den Vorwegabzug oder die Einrichtung eines „Härtefonds“.
• Klärung der inhaltlichen und organisatorischen Verteilungsebenen
Die Etatmittel können sowohl nach Fächern als auch auf Basis der Organisationseinheiten der Hochschule aufgeteilt werden. Die Aufteilung nach Organisationseinheiten (Institut, Fachbereich, Department, Fakultät) erhöht die Transparenz und vermutlich auch Akzeptanz des Etatmodells. Je größer die gewählte Organisationseinheit, umso größer ist in der Praxis auch die Flexibilität des Mitteleinsatzes innerhalb dieser Einheit.
• Festlegung auf die dem Etatmodell zugrundeliegenden Parameter bzw. Kennzahlen
Dafür stehen verschiedene Varianten zur Verfügung. Externe Kennzahlen sind beispielsweise die Durchschnittspreise pro Fach bzw. ein daraus abgeleiteter theoretischer Bedarf in Relation zum Ausbaugrad des Faches an der jeweiligen Institution. Zu den internen Kennzahlen zählen die Vollzeitäquivalente (Wissenschaftler/innen, Studierende), die Nutzungsfälle, die lokalen Ausgaben pro Fach, das bibliometrisch erhobene Publikationsaufkommen sowie ggf. weitere Kennzahlen einer hochschulinternen leistungsorientierten Mittelvergabe (LOM), etwa die Zahl der Absolvent/inn/en, Lehrverpflichtungen und Drittmitteleinwerbungen.
• Übersichtliches Etatmodell schafft Transparenz und Akzeptanz
Die Beschränkung auf eine begrenzte Zahl von Parametern ist eine wichtige Voraussetzung für die Erstellung eines transparenten Etatmodells. Die Akzeptanz des Modells wird erhöht, wenn diese Parameter entweder auf von der Hochschule selbst erhobenen Kennzahlen beruhen (z.B. Zahl des wissenschaftlichen Personals / Studienfälle) bzw. bereits Bestandteil allgemein akzeptierter Etatmodelle wie z.B. des Bayerischen Etatmodells sind.
• Gewichtung der Parameter
Die Gewichtung einzelner Parameter ist ein wichtiges Instrument der Steuerung. Die Festlegung auf verbindliche Gewichtungsschlüssel dient sowohl der Berücksichtigung inhaltlicher Aspekte als auch der Schaffung von Akzeptanz für das gesamte Modell. Dabei kann die Einführung individueller oder im Einzelfall abweichender Gewichtungsfaktoren ein Beitrag sein, um Sonderfaktoren eines Faches bzw. einer Organisationseinheit angemessen berücksichtigen zu können. Generell unterliegen Gewichtungen aber immer subjektiven Einflussfaktoren.
• Laufzeit des Etatmodells
Die voraussichtliche Laufzeit eines Verteilungsmodells sollte bei der Auswahl der in Frage kommenden Parameter bedacht werden.
2. Anforderungen an einzelne Parameter eines Etatmodells
• Vertretbarer Aufwand bei der Datenerhebung
Die Beschränkung auf wenige Parameter und eine möglichst automatisierte Datenerhebung begrenzen den Arbeitsaufwand und bilden die Basis für eine schnelle Anpassung des Etatmodells.
• Entwicklungsfähigkeit des Etatmodells
Eine Einbeziehung neuer Parameter sollte bei einer veränderten Ausgangslage (z.B. DEAL-Abschlüsse mit bestimmten Verlagen) grundsätzlich möglich sein.
• Erhebung der Personenzahl
Die Erhebung statistischer Kennzahlen für das wissenschaftliche Personal und die Studierenden der Hochschule sind integraler Bestandteil vieler Etatmodelle. Während sich für das wissenschaftliche Personal die Zahl der Vollzeitäquivalente als Kriterium etabliert hat, werden Studierende entweder als Studierende pro Fach oder Studienfall pro Fach gezählt und ggf. auf mehrere Fächer gesplittet. In vielen Fällen wird der Parameter Personenzahl mit einer Gewichtung einzelner Personengruppen kombiniert. Die Erhebung der Personenzahl sollte im Sinne der Vergleichbarkeit und Akzeptanz auf Basis der von der Hochschule erhobenen Kennzahlen erfolgen.
• Erhebung von Nutzungszahlen
Nutzungszahlen, wie z.B. Ausleihzahlen von Printmedien und Zugriffe auf elektronische Medien, können sinnvolle Parameter in Etatmodellen sein. Die Einbeziehung der Nutzungszahlen ermöglicht vor allem im Falle interdisziplinärer und konsortialer Vorwegabzüge für E-Medienpakete eine nachträgliche virtuelle Kosten-Nutzen-Relation für einzelne Fächer oder Fachgruppen. Im Sinne der fachübergreifenden Vergleichbarkeit der ausschließlich quantitativen Zugriffszahlen sollten unter Umständen auch weitere qualitative Faktoren wie die Berücksichtigung der Zugriffe in Abhängigkeit zur jeweiligen Fachkultur bzw. Größe der potentiellen institutionellen Nutzergruppe hinzugezogen werden. Für die Nutzung der elektronischen Zeitschriften könnte zukünftig über den Deutschen Statistikserver ein anbieterunabhängiger, automatisierter Abruf der Daten auf Basis der EZB-Klassifikationen erfolgen.
• Berücksichtigung der Open-Access-Publikationsgebühren
Die Bedeutung von Open-Access-Publikationsgebühren nimmt kontinuierlich zu. Gemeinsam mit den Literaturausgaben sind sie eine wichtige Größe für die Ermittlung des Finanzbedarfs pro Fach bzw. Organisationseinheit. Dementsprechend sollten solche Kosten auch innerhalb eines Etatmodells abgebildet werden. Allerdings treten Publikationsgebühren nur in einzelnen Fachdisziplinen in signifikanter Höhe auf. Auch existieren momentan noch keine „best practice“-Beispiele, inwieweit diese Publikationsgebühren in existierende Etatmodelle sinnvoll zu integrieren sind.
• Bibliometrische Kennzahlen
Bibliometrische Daten zum Publikationsaufkommen des wissenschaftlichen Personals können ein Parameter eines Etatmodells sein. Dies allerdings nur, wenn diese Daten sowohl flächendeckend als auch nach vergleichbaren Kriterien für alle zu berücksichtigenden Organisationseinheiten bzw. Fächer erhoben und ausgewertet werden können.
• Preisindizes als externe Parameter der Bedarfsermittlung
Externe Preisindizes zur Entwicklung der Literaturkosten und Literaturproduktion pro Fach, Fachgruppe oder Medienart erfassen wichtige Kennzahlen eines idealtypischen fachspezifischen Literatur- bzw. Finanzbedarfs. Darüber hinaus lassen sich aus ihnen Faktoren für die interne lokale Gewichtung einzelner Parameter ableiten.
Gemeinsame Herausforderungen – aber kein Modell für alle
So sehr unter den Diskutant/inn/en die Einigkeit über gemeinsame Anforderungen und Herausforderungen an ein zeitgemäßes Etatmodell überwog, umso deutlicher kam im Verlauf beider Workshops auch zum Vorschein, dass es „das Etatmodell für Alle“ nicht geben kann. Zwar ergeben sich vielfach Gemeinsamkeiten hinsichtlich zu verwendender Parameter und Kennzahlen, doch sind es in der Regel die spezifischen Gegebenheiten im Binnenverhältnis zwischen Hochschulleitung, wissenschaftlichem Personal und Bibliothek, die ein individuelles und auf die lokale Situation zugeschnittenes Modell erfordern. Auch wenn dies in dem ein oder anderen Fall eine Anlehnung an etablierte Etatmodelle durchaus einschließt.
Die Diskussion zum Thema soll daher auch in Zukunft fortgeführt werden, wobei der Fokus verstärkt auf der Behandlung von Einzelaspekten und der Berücksichtigung bereits existierender „best-practice“-Beispiele liegen soll. Die Einbeziehung von Open-Access-Publikationsgebühren, der Umgang mit Vorwegabzügen oder auch die Einbindung bibliometrischer Daten in Etatmodelle bieten sich dafür an.
1 Monika Moravetz-Kuhlmann, „Das Bayerische Etatmodell – ein erfolgreiches Konzept zur Sicherung der Literatur- und Informationsversorgung vor neuen Herausforderungen,“ in Bibliotheken: Innovation aus Tradition. Rolf Griebel zum 65. Geburtstag, hrsg. Klaus Ceynowa und Martin Hermann (Berlin, München: De Gruyter Saur 2014), 409–418, zuletzt geprüft am 03.03.2017, https://www.degruyter.com/downloadpdf/books/9783110310511/9783110310511.409/9783110310511.409.pdf, sowie Monika Moravetz-Kuhlmann, „Die Bedeutung von Etatmodellen für die Etatplanung und Etatverwaltung,“ in Neue Formen der Erwerbung, hrsg. Susanne Göttker und Franziska Wein (Berlin, München: De Gruyter Saur, 2013), 56–59.
2 Vgl. auch Franziska Wein, „Workshop ‚Etatmodelle für das digitale Zeitalter‘ - ausgerichtet von der DBV-Kommission Erwerbung und Bestandsentwicklung am 15. und 16. März 2012 an der Staatsbibliothek zu Berlin. Ein Kurzbericht,“ ZfBB 59, Nr. 3-4 (2012): 205-206, http://dx.doi.org/10.3196/18642950125934127.