Zukunft reloaded
Bericht der Gemeinsamen Managementkommission von VDB und dbv vom 7. Bibliothekskongress Leipzig 2019
Öffentliche Arbeitssitzung – Aktuelle Herausforderungen
Welche Themen brennen Führungskräften in Bibliotheken auf den Nägeln? Wie sollte daher das Arbeitsprogramm der Managementkommission von VDB und dbv für die kommenden drei Jahre aussehen, um Führungskräfte bei der Bearbeitung dieser Themen zu unterstützen? Zur Beantwortung dieser Fragen lud die Managementkommission auf dem Bibliothekskongress in Leipzig zu einem Workshop ein mit dem Titel „Bibliotheken in [die] Zukunft führen – reloaded. Aktuelle Herausforderungen für das Bibliotheksmanagement“. Ziel war es, partizipativ ein Portfolio an Managementthemen zu entwickeln, das als Basis für die Kommissionsarbeit dienen kann.
Die Kommission hatte dazu zwei Experten eingeladen, die mit ihren Impulsvorträgen zur Diskussion anregten: Johannes Neuer, bibliothekarischer Direktor der „ekz BibliotheksService“ beleuchtete das Thema „Personal gewinnen, motivieren und weiterbilden“ und Matthjis van Otegem, Direktor der Universitätsbibliothek Rotterdam, gab Einblicke in das Thema „Organizational development as a practice“. Als dritten Impuls griffen Daniela Poth und Cornelia Vonhof (beide zugleich Mitglieder der Managementkommission) die Themen „Image, Stellenwert und Sichtbarkeit“ auf und bezogen diese auf das Berufsbild sowie die Bibliothek als Institution.
Johannes Neuer erläuterte anhand von Praxisbeispielen der New York Public Library, wie Bibliotheken zum „ersten Ort des Entdeckens“ werden und zum Lebenslangen Lernen inspirieren können. Bibliotheken veränderten und stärkten so Gemeinschaften und den öffentlichen Raum – und für diese Rolle bräuchten die Bibliotheken kreatives, motiviertes Personal, das bereit sei, sich ständig weiterzuentwickeln und über den Tellerrand zu schauen, so die Thesen von Johannes Neuer. Um dieses Personal zu gewinnen, sei es wichtig, dass die Bibliotheken auf sich als attraktive Arbeitgeber auch außerhalb der üblichen (bibliothekarischen) Stellenportale aufmerksam machten, z.B. auf LinkedIn oder Xing. Wie kreative Mitarbeit in der Praxis gelingt, zeigte Johannes Neuer anhand eines Innovationsprojekts der NYPL, bei dem Beschäftigte Projektideen einreichen können. Die bekannte Ausleihe von Krawatten und Handtaschen der NYPL ist aus diesem Projekt entstanden. Motivation für Innovation entstehe aber durch das Feiern von Erfolgen und durch das Ausloben interner Preise. Wichtig seien aber zudem Weiterbildungsangebote, die im Falle der NYPL z.B. auch als E-Learning-Kurse für alle Beschäftigten an den 92 Standorten der NYPL zugänglich seien.
Matthijs van Otegem betonte in seinem Impulsvortrag die Bedeutung des „management based on trust“ und das Verständnis von „Change/Veränderung“ als kontinuierlichen Prozess. In Management-Schulen werde zumeist nach der „Kühlschrank-Analogie“ gelehrt: Man taue eine Struktur aus der Organisation auf, ändere sie und friere sie dann wieder ein mit dem Ergebnis einer zwar vielleicht veränderten, aber weiterhin starren Struktur. Dagegen stellt van Otegem seine Auffassung von der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Veränderung innerhalb der Organisation sowie die Frage, ob es nicht vielmehr um die Veränderung von vorherrschenden Organisations-„Kulturen“ gehe, als -„Strukturen“? Bezüglich der Einbindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Change-Prozesse berichtete er von seiner Erfahrung, nach der diese intrinsisch motiviert seien, für die Bibliothek und ihre Ziele zu arbeiten. Die Hauptaufgabe der Führungskräfte sei es daher nicht zu motivieren, sondern die Mitarbeitenden motiviert zu halten und die entsprechenden Voraussetzungen für Motivation zu schaffen. Grundgedanke sei das Arbeiten auf der Basis von Vertrauen und Offenheit. Die Direktion und die Führungskräfte vertrauten und trauten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor allem auch in dem Sinne, dass diese die Fachkräfte seien, die höchste Expertise besäßen oder Expertinnen und Experten kennen würden, die sie bei Bedarf fragen können. Matthijs van Otegem bringt seinen Beschäftigten das Vertrauen entgegen, um diese zu ermächtigen, im Team eigene weitreichende Entscheidungen zu treffen und über Budgets zu verfügen, ohne dafür sein Einverständnis einholen zu müssen.
Daniela Poth und Cornelia Vonhof führten in ihrem Impuls die Klischees vor, mit denen sowohl Bibliotheken als Einrichtung als auch das Berufsbild behaftet sind. Sie beleuchteten, wie Berufsbilder in Bibliotheken auf einschlägigen Webseiten zur Berufswahl, wie z.B. der Bundesagentur für Arbeit, illustriert und beschrieben werden. Die Darstellung von Zettelkästen und das Büchersortieren als Hauptaufgabe sind nach wie vor präsent und die Empfehlung, dass sich jemand dann gut für die Bibliothekswelt eigne, wenn man ordnungsliebend sei und kein Interesse an Veränderungen habe, sind Aussagen, die betroffen und ärgerlich machen.
Moderiert von den Mitgliedern der Managementkommission, wurden die Impulsreferate in drei Gesprächsrunden vertieft und zugleich wurde herausgearbeitet, welche Aspekte für die Führungskräfte so relevant sind, dass sie die Kommissionsarbeit der kommenden Jahre prägen sollten.
Thema Image: Stellenwert und Sichtbarkeit
In der Diskussion wurde deutlich, dass dieses Thema aktuell nicht nur die Managementkommission beschäftigt, sondern dass sich auch andere berufsfachliche Gremien mit der fragwürdigen Darstellung des Berufes der Bundesagentur für Arbeit auseinandersetzen. Dies sind beispielsweise die AG BID Personalgewinnung, die Sektion 2 des dbv sowie die KIBA (Konferenz der informations- und bibliothekswissenschaftlichen Ausbildungs- und Studiengänge). Mit diesen wurde eine Zusammenarbeit und Abstimmung vereinbart. Diskutiert wurde auch darüber, wer mit einem veränderten Image erreicht werden solle: Geht es um die Kundinnen und Kunden, um Entscheidungsträger oder um potentielle Beschäftigte, also um Personalgewinnung? Je nach Zielgruppe sind daher unterschiedliche Herangehensweisen zur Änderung des Images notwendig.
Als ein konkreter Bedarf wurde ein Werkzeugkasten benannt, auf den zugegriffen werden kann, wenn eine Präsentation des Berufsfeldes oder eine öffentliche Darstellung der eigenen Einrichtungen angefragt ist. Gedacht wurde hier an einen attraktiven Bilderpool, an Clips und weitere professionelle Werbematerialien, die sich mit geringem Aufwand individualisieren lassen. Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, den Bibliotheksbeschäftigten Trainings anzubieten, um bei Gesprächen mit Entscheidungsträgern im Sinne eines „Elevator Pitch“ kurz und präzise die wichtigsten Aspekte aufzeigen zu können und selbstbewusst den Wert von Bibliotheken und vor allem ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu vertreten.
Thema Personal: gewinnen, motivieren, weiterentwickeln
Die Gesprächsrunde zum Thema „Personal“ entwickelte eine Vielzahl von Ideen und Fragen, denen in Zukunft nachgegangen werden soll. Zu den Fragen, die aufgeworfen wurden, gehörten: Wie können Mitarbeitende die Werte ihrer Bibliothek unterstützen, auch wenn die eigene Tätigkeit in einem teils sehr spezialisierten Bereich, wie beispielsweise der Metadatenexpertise, angesiedelt ist? Wie kann zukünftig Personal gewonnen werden, und wie gelingt die Einbindung von Quereinsteigenden? Und wie lässt sich sicherstellen, dass neben der Personalgewinnung auch die Weiterqualifizierung des bestehenden Personals nicht vernachlässigt wird?
Ein Anliegen war den Teilnehmenden, Formate zu finden, um auch künftig miteinander über Best-Practice-Beispiele ins Gespräch zu kommen und den kollegialen Austausch zu stärken. So könnte sich für den direkten Austausch die Organisation eines Round-Tables durch die Managementkommission anbieten. Denkbar wäre auch ein zweistufiges Modell, das zunächst mit einem allgemeinen MeetUp zum Austausch von Erfahrungen und einigen Best-Practice-Beispielen starten könnte und so als Vorbereitung für ein späteres BarCamp oder eine andere offene Veranstaltung für alle Interessierten dienen kann.
Deutlich wurde, wie eng das Thema Personal mit den beiden Gesprächsrunden zum Image von Bibliotheken und ihren Organisationsformen verknüpft ist. So wurde beispielsweise der Stellenwert von Bibliotheken besonders konkret, als die Zukunft der Ausbildung oder das Spannungsfeld von Stellenzuschnitt und Bezahlung diskutiert wurden. Die Zunahme von Querschnittsaufgaben und das Wechselspiel von Motivation und institutionellen Strukturen haben die Bedeutung der Organisationskultur für die Personalentwicklung unterstrichen.
Thema Organisation: Kulturwandel, Partizipation und Verantwortung
In der Gesprächsrunde zum Thema „Organisation“ ging es insbesondere um die von Matthijs van Otegem gesetzten Impulse, Vertrauen zu schenken und in der Konsequenz Personen und Teams zunehmend mehr Verantwortung und Entscheidungsfreiheit zu übertragen.
Die Vielzahl der in der Runde diskutierten Fragen und Ideen findet sich in vier Themenclustern wieder:
- „Change culture, not structure“. Deutlich wurde in der Diskussion, dass es nicht um Tools und Werkzeuge geht, sondern um die Geisteshaltung, um das passende Mindset von Mitarbeitenden und Führungskräften. Organisationen sollen in die Lage versetzt werden, sich aus sich heraus zu verändern für den Fall, dass ihre Strukturen und Entscheidungswege nicht mehr produktiv sind.
- „Don’t spoil the intrinsic motivation“. Einher geht damit auch eine sich wandelnde Rolle von Führungskräften. Wenn Entscheidungen nicht mehr allein vom Management getroffen werden und auch die Kontrolle über Personal und Budgetmittel nicht beim Management liegt, was bleibt als Führungsaufgabe? Abteilungsleitungen sollen coachen, das kontinuierliche Lernen ermöglichen und die persönliche Weiterentwicklung jedes Einzelnen fördern.
- „Create your own job“. Mit der so gewonnenen Freiheit für die Mitarbeitenden gehen diese gleichzeitig Verpflichtungen ein, die wirkungsvoller sind als Kontrolle und ein Handeln nach bloßer Anweisung. Beim Jobcrafting schaffen Beschäftige sich ihre eigenen Stellen und Zuständigkeiten, für die sie selbst Verantwortung übernehmen, indem sie ihre jeweiligen Talente und Neigungen bestmöglich einsetzen. Jede Person trägt so zum Auftrag und den Zielen, dem „mission statement“, der Einrichtung bei – aufgrund der eigenen Stärke und Wirksamkeit, nicht aufgrund hierarchischer Strukturen.
- „Arbeiten in der Netzwerkwelt“. Durchaus auch kritisch diskutiert wurden Fragen, die sich mit dem Arbeiten in Netzwerken stellen: Wie lässt sich Kommunikation in nicht-hierarchischen Strukturen organisieren? Wie kommen Entscheidungen zustande? Wie gehen Führungskräfte und Mitarbeiter/innen mit Unsicherheit um? Wie lässt sich das aktive Partizipieren in der Netzwerkwelt fördern und gestalten?
Weitere Aktivitäten der Managementkommission auf dem Bibliothekskongress in Leipzig
Forum Qualitätsmanagement
Bereits zum dritten Mal fand in Leipzig das „QM-Forum“ statt, das von der Managementkommission initiiert wurde. Es bietet Bibliotheken, die Qualitätsmanagement als Managementinstrument einsetzen, eine Plattform, die lebhaft genutzt wird, um sich kennenzulernen, auszutauschen und um Themen zu diskutieren, die für die Anwesenden von großer Bedeutung sind. Das Lernen voneinander ist ein wesentliches Anliegen – und so gaben in diesem Jahr drei Anwenderinnen und Anwender Einblicke in ihre Praxis: Benjamin Decker (Stadtbibliothek Geislingen), Kerstin Cevajka (Hochschule Albstadt-Sigmaringen) und Melissa Hofstetter (UB Bern) stellten ihre Erfahrungen, aber auch die Herausforderungen und Schwierigkeiten, denen sie im Alltag begegnen, zur Diskussion. Kennzeichnend für diese kollegialen Runden im QM-Forum ist die Offenheit, mit der auch über all das gesprochen werden kann, das nicht gelingt. Hilfreiche und ermutigende Kommentare und Hinweise sind die ganz selbstverständliche Gegenleistung der anwesenden Kolleginnen und Kollegen. Auf dem Bibliothekartag 2020 in Hannover wird es eine Fortsetzung mit dem 4. QM-Forum geben.
MeetUp „Agiles Management“
Die gemeinsame Managementkommission von VDB und dbv lud zu einem ersten Anwendertreffen „Agiles Management“ auf dem Bibliothekskongress 2019 in Leipzig ein. Vorab waren Personen gezielt angesprochen worden, die agile Methoden in ihrer täglichen Praxis bereits anwenden und sich darüber mit anderen Anwenderinnen und Anwendern austauschen wollen. Konkret wurde vorab gefragt, welche agilen Methoden in den jeweiligen Einrichtungen zum Einsatz kommen, ob nun Scrum, Kanban, szenariobasierte Planung, Zukunftswerkstatt, Design-Thinking-Workshops oder weitere Methoden. Dieser Einladung folgten 14 Personen aus größeren und kleineren, wissenschaftlichen wie öffentlichen Bibliotheken und Verbünden, sowohl aus IT-Abteilungen als auch aus anderen Bereichen in der Bibliothek.
In einer Vorstellungsrunde wurde nach der Erwartungshaltung gefragt und verschiedene Aspekte gesammelt: „Wie arbeitet man agil in agil-feindlichen Kontexten?“, „Wie motiviert man Beschäftigte zu mehr Eigenverantwortung?“ oder „Wie gestaltet man agiles Arbeiten einerseits und hält andererseits den Betrieb aufrecht – und sind dies Gegensätze?“. Die gesammelten Stichworte, die sich weniger um methodische Aspekte drehten als vielmehr um die Frage, wie man den Kulturwandel begleiten und fördern kann, sollen nun in weiteren Treffen oder Videokonferenzen erörtert werden. Einig war sich die Runde, dass ein Informations- und Wissensaustausch dringend geboten sei. Und das nicht nur hinsichtlich der Methoden, sondern auch über die Umsetzung in die Praxis, das richtige Mindset und die Organisationskultur, die Grundlage der agilen Arbeit ist.
Vereinbart wurde die Fortsetzung der Zusammenarbeit. Dazu erklärten sich zwei Personen bereit, im Sommer Interessierte aus diesem Kreis zu einer Videokonferenz einzuladen, um weitere Schritte zu besprechen. In Berlin ist ein „agiler Stammtisch“ geplant.
Ausblick auf die nächsten Veranstaltungen
Die Diskussionen in Leipzig gaben vielfältige Impulse, um für 2019 und 2020 Veranstaltungen rund um die Themen Organisationsentwicklung und agiles Arbeiten zu konzipieren.
Für Herbst 2019 ist für Neugierige und Einsteiger/innen ein Workshop zu den „Grundlagen des agilen Arbeitens“ geplant. Im Mittelpunkt werden Methoden und Instrumente stehen, die zeigen, wie ein experimentierender Einstieg in agile Arbeitsweisen gelingen kann.
Gleichzeitig versteht sich die Managementkommission als Initiatorin einer Austauschplattform für Kolleginnen und Kollegen, die sich schon intensiv mit dem agilen Arbeiten beschäftigt haben und verschiedene Methoden bereits in ihrer Arbeitspraxis anwenden. So wird im November 2019 in Berlin ein „Forum Agiles Management“ stattfinden. Das Forum wendet sich explizit an Anwenderinnen und Anwender und wird vor allem thematisieren, wie – jenseits von einzelnen Methoden – ein agiles Mindset und eine dafür offene Kultur entwickelt werden kann.
Auf dem Bibliothekartag 2020 in Hannover wird die Managementkommission wieder aktuelle Managementthemen aufgreifen und ist bereits auf der Suche nach Referentinnen und Referenten, die mit dem Blick von außen dem Bibliothekssektor Impulse geben können. Das „QM-Forum“ wird als Austauschformat für Qualitätsmanagement-Anwenderinnen und -Anwender in Hannover in die vierte Runde gehen. Auch eine Fortsetzung des MeetUp „Agiles Management“ ist geplant.