Bibliotheken als Partner der Forschung
Bericht zum Workshop „Was ist Forschung?“ am 13. und 14. November 2019 an der ULB Darmstadt
Einleitung
Bibliotheken blicken auf eine jahrhundertelange Tradition als Orte des Wissens und Partner der Forschung zurück. Hier wurden Erkenntnisse gesammelt, aggregiert und weiter tradiert; so entstanden neue Forschungsfragestellungen oftmals im Umfeld von Bibliotheken. Das digitale Zeitalter entkoppelt diese Prozesse weitestgehend von physischen Orten und bietet zahlreiche Möglichkeiten der virtuellen Zusammenarbeit mit ganz unterschiedlichen Medien. Gleichzeitig wächst mit der zunehmenden Digitalität von Forschungsprozessen ein Bedarf an nicht-kommerziellen, vertrauenswürdigen und speziell auf die Anforderungen der Wissenschaft ausgerichteten Dienstleistungen heran.
Bibliotheken hingegen entwickeln in immer größerem Maße forschungsunterstützende Dienste, die Forschende während des gesamten Forschungszyklus in Anspruch nehmen können: Unterstützung bei der Recherche, Publikationsdienstleistungen, Werkzeuge zum Management von Forschungsdaten, Hilfe bei der Verbesserung der Sichtbarkeit von Forschungsleistungen oder bei der Anwendung bibliometrischer Methoden. Im eigentlichen Forschungsprozess sind Bibliotheken in der Regel bis auf einige Ausnahmen bisher nicht unterstützend beteiligt.
Eine Veränderung des gesamten Tätigkeitsfeldes und der hierfür erforderlichen Kompetenzen macht das Positionspapier des Rates für Informationsinfrastrukturen mit dem Titel „Digitale Kompetenzen – dringend gesucht!“ deutlich.1 Hier werden ganz explizit organisatorische und kulturelle Barrieren zwischen Forschung und Verwaltung bemängelt, die dazu beitragen, dass die Qualifikationsanforderungen im administrativ-technischen Bereich nicht notwendigerweise mit Neuerungen in der Forschung Schritt halten, obgleich der Wissenschaftsbereich generell gute Voraussetzungen für lebenslanges Lernen bietet. Auch der weitestgehend unstrukturierte Erwerb digitaler Kompetenzen unterzieht sich hier kritischer Betrachtung, ebenso wie die Ressourcenausstattung für die öffentliche Forschung, die trotz gestiegenen Anspruchsniveaus und stetig steigender Leistungsumfänge von Organisationseinheiten weitestgehend unverändert geblieben sind.
Zahlreiche Impulse für die weitere Diskussion ergab ein zweitägiger Workshop,2 veranstaltet von der Kommission für forschungsnahe Dienste des VDB3 am 13. und 14. November 2019 an der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt. Hierzu eingeladen waren Fachwissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen sowie Mitarbeiter*innen aus Bibliotheken, die in Vorträgen und Diskussionen der Frage nachgingen, wie sich Forschungsprozesse in einzelnen Disziplinen konkret gestalten: Wie sieht der Arbeitsalltag von Elektrotechniker*innen, Chemiker*innen oder Computerlinguist*innen aus? Welche Werkzeuge nutzen sie? Wo sehen die Forschenden besondere Herausforderungen bei Vorbereitung, Durchführung, Dokumentation oder Veröffentlichung von Forschungsprozessen? Welche konkreten Unterstützungsangebote würden Forschende sich wünschen oder könnten Bibliotheken sich vorstellen, um die einzelnen Arbeitsphasen eines Forschungsvorhabens optimal zu unterstützen?
Der gemeinsame Blick von Bibliothekar*innen und Forschenden auf den Forschungsprozess schuf die Grundlage, um diese Fragen konkret anhand von fachspezifischen Abläufen zu diskutieren und im Hinblick auf die bestehenden oder potenziell neu zu entwickelnden forschungsnahen Dienstleistungen zu analysieren. Im Workshop gaben Wissenschaftler*innen den Teilnehmenden im Rahmen kurzer Impulsvorträge Einblicke in die Arbeitsweisen ihrer Fachdisziplinen. Sie erläuterten die Rahmenbedingungen ihrer Forschungstätigkeit, nannten typische Fragestellungen oder Arbeitsmethoden und gingen auf die dabei verwendeten Werkzeuge wie z.B. Dokumentations- und Recherchetools ein. Anschließend hatten die Teilnehmenden des Workshops Gelegenheit, die Impulse in Kleingruppendiskussionen zu je 45 Minuten mit den einzelnen Wissenschaftler*innen zu vertiefen.
Ausgangspunkt für die Impulsvorträge wie auch die nachfolgenden Diskussionen waren folgende Fragen:
- Wo sehen Forschende die großen Herausforderungen während des Forschungsprozesses?
- Wo würde den Forschenden eine stärkere Unterstützung im Forschungsprozess helfen?
- Wie und durch wen könnte diese Unterstützung realisiert werden?
- Sind Standardisierungen vorhanden oder wären diese nützlich?
Exemplarisch für die Einzeldiskussionen seien hier zwei Beispiele näher ausgeführt, die das thematische Spektrum und die Funktionsweise des Workshops aufzeigen.
Beispiel Biologie
Der Biologe Alexander Löwer von der Technischen Universität Darmstadt sah in seinem Kurzvortrag vier Hauptherausforderungen im Forschungsprozess:
- Speicherung und Organisation von sehr großen Datenmengen, v.a. von Bilddaten (bis zu 5 Terabyte pro Woche), für die eine entsprechende Infrastruktur bisher nicht vorhanden ist.
- Analyse der Forschungsdaten: Aus den typischen Bildverarbeitungsprozessen entstehen in der Regel keine Metadaten. Die Dokumentation erfolgt über klassische Laborbücher, die keine direkte Verknüpfung mit den Daten haben.
- Publikationsprozess: Die Veröffentlichung von Daten und Erkenntnissen findet in der Regel in Zeitschriften statt und ist von den Auswirkungen der Zeitschriftenkrise direkt betroffen (eingeschränkte Verfügbarkeit durch hohe Zeitschriftenpreise, Finanzierungsstrukturen von Open-Access-Journals, Zusammenhang von APC und Reputation einer Zeitschrift). In der Nutzung von Preprint-Servern sieht Alexander Löwer in den Lebenswissenschaften keine Vorteile, da keine nützlichen Kommentare oder Verbesserungen des Peer Reviews erfolgen. Ein Vorteil wäre lediglich, die Veröffentlichungen bei Bewerbungen schon angeben zu können. Primärdaten bleiben häufig unveröffentlicht, obwohl es ein stetig wachsendes Interesse an der Nachnutzung gibt. Jedoch fehlt es an einem passenden Repositorium und entsprechenden Standards.
- Die Langzeitarchivierung von digitalen Daten ist ein aktuell ungelöstes Problem.
Als wichtigste Desiderate formulierte Alexander Löwer eine bessere Dokumentation und Nachvollziehbarkeit des Forschungsprozesses, elektronische Laborbücher, Standards bezüglich Datenerfassung und Speicherung, eine automatisierte Zuweisung von Metadaten, Datenbanken für Bilddaten sowie eine Infrastruktur für die Archivierung von Primärdaten.
In der anschließenden lebhaften Diskussion mit den Teilnehmenden wurden vor allem die Themen digitale Laborbücher, Datennachnutzung, Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen und Metadaten vertieft. Beispielhaft sei genannt die zwingend notwendige automatische Zuweisung von Metadaten zu Forschungsdaten, für die es zum aktuellen Zeitpunkt kaum Bestrebungen gebe. Bibliotheken werden in diesem Zusammenhang bislang oftmals auch nicht als möglicher Partner wahrgenommen.
Beispiel Elektro- und Informationstechnik
Sebastian Schöps, ebenfalls Technische Universität Darmstadt, forscht am Fachbereich Elektro- und Informationstechnik an der Schnittstelle von Mathematik, Informatik, Physik und Elektrotechnik. Seine Forschung verbindet Theorie und Computer-Simulationen. Hier war insbesondere die Diskussion zu Open Access und zu digitalen Werkzeugen im Forschungsprozess sehr angeregt und bisweilen kontrovers, ergab jedoch konkrete Impulse für die weitere Arbeit an forschungsnahen Diensten.
Sebastian Schöps beschrieb den typischen Ablauf eines Forschungsprozesses bis hin zur Publikation: Am Anfang steht die Formulierung einer Forschungsfrage oder auch eines konkreten Problems („Wie kann man eine Maschine optimieren?“). In einem ersten Schritt wird in der Regel daran gearbeitet, das Problem zu analysieren und zu formalisieren; anschließend geht es um Lösungsansätze. Die Kollaboration verläuft in dieser Phase weitgehend analog am Whiteboard oder an einer Tafel. Der Forschungsprozess selbst wird digital und versionskontrolliert in Textform protokolliert, auch eine Literaturdatenbank wird fortlaufend gepflegt. Für die Publikation kommen einige wenige Journals in Frage, entscheidend für die Auswahl ist neben der Reputation des Journals die Möglichkeit für Open Access. Beim Einreichen wird grundsätzlich gleichzeitig auf ArXiv veröffentlicht. Die entstandene Software wird auf Github bereitgestellt und zitierfähig mit einer DOI versehen; über Twitter wird die Publikation schließlich bekannt gegeben.
Schöps sieht Open Access als einen Schlüsselfaktor für die wissenschaftliche Kommunikation an und rät Bibliotheken dazu, viel engagierter in diese Entwicklung einzugreifen, beispielsweise selbst als Dienstleister für die Herausgabe von Zeitschriften aufzutreten. Entscheidend für die Qualität einer Zeitschrift seien ihre Herausgeber*innen, mit denen die Bibliotheken kooperieren müssten. Fachgesellschaften könnten unterstützend tätig werden. Internationale Konsortien auf Bibliotheksebene seien erforderlich, um in die internationale Breite einer wissenschaftlichen Spezialcommunity hineinzuwirken.
Überhaupt nannte Schöps die Bibliotheken als wichtige Player im Forschungsprozess, die in diese Rolle mehr als bisher hineinwachsen könnten und sollten. Viele Werkzeuge im Forschungsprozess (z.B. Git, Sharelatex etc.) könnten auch von Bibliotheken angeboten werden. Innerhalb der eigenen Institution oder in Kooperation von Hochschulen erbrachte Services seien generell kommerziellen Cloud-Lösungen vorzuziehen, um Datenschutzprobleme zu reduzieren und Nachhaltigkeit zu bieten. Bibliotheken könnten und sollten den Forschenden – soweit wie möglich – Arbeit abnehmen oder Arbeit vereinfachen, indem sie für Infrastrukturanforderungen zentrale Lösungen entwickeln oder Unterstützung anbieten für all das, was nicht unmittelbar zum Forschungsprozess gehört, die Forschenden aber häufig viel Zeit kostet (Fragen des Corporate Design, Rechtsfragen, Datensicherheit, Langzeitverfügbarkeit o.Ä.). Ideal wären zentrale Ansprechpersonen für alle forschungsunterstützenden Dienste als Data und Software Stewards, die einen wissenschaftlichen Hintergrund mitbringen und an der Bibliothek fortgebildet und koordiniert werden.
Als Fazit konnte am Ende der zwei Diskussionsrunden gezogen werden, dass Bibliotheken sich stärker im digitalen Bereich zusammenschließen müssen (national sowie international), wie dies ja auch bei den traditionellen Services (z.B. Fernleihe, Kataloge) seit langem stattfindet, um gemeinsam konkurrenzfähig zu sein, um z.B. OA-Journals zu publizieren oder Forschungsdatenservices anzubieten.
Ergebnisse
Deutlich wurden in den Impulsvorträgen und Diskussionsrunden nicht nur die Unterschiede in den Anforderungen der vertretenen Fachdisziplinen, sondern auch die Bandbreite der individuellen Arbeitsweisen und der lokal gegebenen strukturellen Rahmenbedingungen. In den Kleingruppengesprächen sowie in den Diskussionen im Plenum zeigte sich, dass es in mehreren Aspekten inhaltlichen Konsens gab und dass bestehende oder zu entwickelnde forschungsunterstützende Dienste benannt werden können. Andere Themen blieben hingegen kontrovers oder unterliegen zum jetzigen Zeitpunkt noch so vielen Veränderungen, dass konkrete Empfehlungen für forschungsunterstützende Dienstleistungen oder Werkzeuge nicht möglich sind und als „work in progress“ betrachtet werden sollten.
Folgende Aspekte fassen wesentliche und immer wieder aufgegriffene Diskussionsbereiche des Workshops zusammen:
1. Bibliotheken als Partner der Forschung bei der Entwicklung forschungsnaher Dienstleistungen
Forschende wünschen sich einen direkteren Austausch mit Bibliotheken und eine engere Abstimmung bei der Entwicklung und dem Angebot von forschungsbegleitenden Services. Forschende und Bibliothekar*innen müssen in ständigem Dialog während des Forschungsprozesses sein, um nachhaltige und längerfristige Services zu entwickeln. Bei der Organisation des Forschungsprozesses und beim Umgang mit Daten trägt die Bibliothek zur Qualität der Forschung durch die forschungsnahen Dienste bei (Umgang mit Metadaten, Tools, Publikationsunterstützung, standardisierte Verfahren). Der Austausch von Bibliotheken mit der Forschung sollte noch mehr im Dialog und stärker partizipativ geschehen – zumal der Austausch mit Forschenden sowie die Entwicklung und Anwendung neuer Werkzeuge auch ein wichtiges Innovationspotenzial zurück in die traditionell eher konservativ veranlagten Häuser bringt.
Ein Beispiel für die zunehmend engere Abstimmung zwischen Forschenden und Bibliotheken lässt sich im Bereich des Forschungsdatenmanagements (FDM) einschließlich der dafür erforderlichen digitalen Kompetenzen feststellen. Bibliotheken begleiten inzwischen häufiger gemeinsam mit Forschenden rund um den Lebenszyklus von Forschungsdaten und entlang aller Fragen des Datenmanagements und seiner Planung. Die Beratungs- und Dienstleistungsangebote richten sich an diesen beiden Grundpfeilern des Forschungsdatenmanagements aus. Ansprechpartner*innen für Fragen des Forschungsdatenmanagements in den Bibliotheken versuchen, global für alle Institute und Projekte sowie für und gemeinsam mit Einzelforscher*innen passgenaue Lösungen zu finden. Dabei werden die Werkzeuge unter dem Gesichtspunkt dynamischer Entwicklungen betrachtet und gemeinsam diskutiert. So bietet beispielsweise die RDMO-Community Workshops zu Funktionalitäten des RDMO-Werkzeugs in Kooperation mit wissenschaftlichen Bibliotheken an.4 Forschungsunterstützende Dienstleistungen bewegen sich auf der Ebene des praktischen Supports (Fragen zur Integration in Förderanträge, Datenmanagementplanung oder auch rechtliche Problematiken), gleichzeitig tauchen aber auch weitergehende Fragen zu Ordnungssystemen für die Forschungsarbeit, zu konkreten Forschungswerkzeugen oder aber Repositorien auf. Die Serviceprovider in Bibliotheken betrachten alle Arten von Forschungsdaten, die im Forschungsprozess entstehen. Dies ist wichtig, um Dienste zu erbringen, die für einen möglichst breiten Kreis von Nutzenden Vorteile bringen. Darüber hinaus besteht bei den Forschenden eine immer höhere Bereitschaft für kollaborative Forschungsarbeit, auch über die Fächergrenzen hinweg: Gegenwärtige Forschung nutzt neue Informations- und Kommunikationstechnologien und ist stark vernetzt.
Teilweise entwickeln auch die Forschenden Lösungen, die für Bibliotheken relevant sind, wie beispielsweise in den Bereichen Text und Data Mining, semantische Analyse oder Visualisierung von Daten. Im Bereich der textbasierten Forschung wurden während des Workshops Beispiele aus dem Text Mining genannt. Daten können hier aus Büchern (Datenbanken) oder Zeitungsartikeln (Archiven), Publikationen und Textkorpora stammen. Im Text und Data Mining können Bibliotheken dazu beitragen, technische Hindernisse zu überwinden und rechtliche Fragen zu beantworten. Text und Data Mining ist ein gutes Beispiel dafür, dass Bibliotheken zunehmend nicht nur als Informationsanbieter und Informationsvermittler auftreten sollten, sondern auch als Bereitsteller von forschungsunterstützenden Anwendungen Verantwortung übernehmen können.
2. Generische vs. hochspezialisierte Tools
Die Tendenz geht immer mehr hin zu einer interdisziplinären Forschung. Die Unterschiede in den Fachdisziplinen sind teils nicht mehr so ausgeprägt, teils sehen Wissenschaftler*innen oft nur ihre eigene Disziplin und ihre Besonderheiten. Daher sollten Bibliotheken den Fokus auf die Vereinheitlichung der Abläufe richten und entsprechende Tools entwickeln bzw. anbieten. Hierdurch wird die Entwicklungsarbeit reduziert und die Nachnutzbarkeit unterstützt. Die Vereinheitlichung von Methoden und Verfahren kann nur in der Kommunikation und Vermittlung der Gemeinsamkeiten passieren. Die eingesetzten Tools müssen spezifisch genug für die Bedürfnisse der Forschenden in den Fachdisziplinen sein und gleichzeitig einen gemeinsamen Standard bedienen, damit es überhaupt möglich ist, Ergebnisse nachzunutzen. Dazu ist es wichtig Interoperabilität zu fördern, damit auch spezifische Tools in einer gemeinsamen Infrastruktur zusammengeführt werden können. So identifizierte die Leibniz-Gemeinschaft in ihrer Leitlinie zum Umgang mit Forschungsdaten in der Leibniz-Gemeinschaft Ende des Jahres 2018 Interoperabilität als ein Handlungsziel beim Umgang mit Forschungsdaten durch Nutzung offener Standards und strukturierter Metadaten.5 Zwar bieten wissenschaftliche Bibliotheken den Forschenden inzwischen Unterstützung an, z.B. bei der Erstellung von standardisierten Metadaten, jedoch ist dieser Support noch nicht ausreichend und sollte zusammen mit der Wissenschaft weiter ausgebaut werden.
3. Wünsche an die Bibliotheken – Sichtbarkeit von Dienstleistungen
Ein Thema wurde immer wieder angesprochen: Viel zu wenig ist darüber bekannt, welche forschungsnahen Dienstleistungen Bibliotheken bereits anbieten. Wissenschaftler*innen wissen oft gar nicht, dass Bibliotheken längst Werkzeuge zum Forschungsdatenmanagement zur Verfügung stellen, durch ihre Zusammenarbeit mit Rechenzentren auch große Datenmengen technisch und datenschutzrechtlich verlässlich speichern oder zu Publikationsstrategien beraten können. Selbst seit langem etablierte Standarddienste wie Schulungen zu Recherchekompetenz, Zitieren oder Literaturverwaltung sind nicht hinreichend bekannt und werden nicht im nötigen Umfang curricular integriert oder gar den Studierenden oder dem wissenschaftlichen Nachwuchs empfohlen. Hier ist eine engere Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen und insgesamt eine bessere Sichtbarkeit der Bibliotheken unbedingt erforderlich! Diese ernüchternde Lage spiegelt auch die Erkenntnis des im Mai 2020 erschienenen Aufsatzes „Berufsfeld.rebooting“6 wider. Für Studierende und Nachwuchsforscher*innen sind Workshops im Bereich der Informations- und Datenkompetenz beispielsweise essenziell und tragen zur Einhaltung der Regeln guter wissenschaftlicher Praxis und zu Integrität und Nachhaltigkeit der Forschung bei. Daher müssen diese auch in den Hochschulen bessere curriculare Integration finden.
Ein zweiter mehrfach genannter Aspekt war der folgende: Wissenschaftler*innen wünschen sich zentrale Beratungsangebote und Ansprechpartner*innen in den Bibliotheken. Auch wenn fachliche Differenzierungen erforderlich sind, trägt eine zentrale Anlaufstelle zur Sichtbarkeit einer Dienstleistung bei. Wünschenswert wäre aus Sicht der Forschenden beispielsweise ein Beratungszentrum für Forschungsdatenmanagement, das auf der Website einer Bibliothek gut sichtbar platziert ist und Kontaktdaten von Expert*innen vor Ort nennt.
Ein dritter Wunsch bezieht sich auf die bessere Nachnutzung der in Bibliotheken mittlerweile vorhandenen Beratungserfahrungen. Bibliothekar*innen, die im Bereich der forschungsunterstützenden Dienstleistungen arbeiten, wissen häufig sehr genau, was typische Schwierigkeiten und Fallstricke sind, kennen mögliche Lösungsansätze und könnten schon frühzeitig dabei unterstützen, die Weichen in die richtige Richtung zu stellen. Ein Beispiel dafür ist die möglichst frühzeitige Klärung der Erschließung und des Speicherortes für Metadaten, ein anderes die Festlegung auf eine Autorenidentität (Name, ORCID) und eine korrekte Affiliationsbezeichnung in Publikationen. Viele Wissenschaftler*innen wünschen sich von Bibliotheken Musterlösungen, Best-Practice-Beispiele oder Use Cases, mit denen sie den Forschenden helfen, typische Probleme schon frühzeitig zu identifizieren und zu beheben.
4. Strukturelle Herausforderungen
Die Entwicklungen in der Forschung, in Infrastruktur- und Transformationsprojekten reduzieren den Aufwand nicht, weder für die Forschenden noch für die Anbieter von forschungsunterstützenden Dienstleistungen. Im Gegenteil: Für alle diese Herausforderungen werden Personalressourcen benötigt, die oft nicht oder nicht ausreichend vorhanden sind und oftmals – auf Seite der Wissenschaft – nicht die notwendige Routine zur professionellen Erledigung der Aufgaben besitzen, oder aber – auf Seite der Infrastruktureinrichtungen – nicht die notwendigen Einblicke in das Alltagsgeschäft der Forschenden. Hier sind auf der Seite der Bibliotheken Umstrukturierungen in der Aufgabenverteilung erforderlich, unter anderem Neuausrichtungen bei der Stellenbesetzung, bei der Personalentwicklung im Hinblick auf erforderliche Kompetenzerweiterungen etc. In vielen Fällen wird auch zusätzliches Personal erforderlich sein, wie der RFII im oben genannten Papier ebenfalls feststellt. Ein weiteres Problem liegt aus Sicht der Forschenden darin, dass zunehmend mehr Zeit für Gutachten, Selbstverwaltung, Akquise von Drittmitteln und Lehre erforderlich ist und der eigentlichen Forschung entzogen wird. Umso wichtiger sind unterstützende Angebote, die im Bereich der Infrastruktur durch Standardisierung entlasten.
Fazit
Die zum Ende der Veranstaltung durchgeführte Evaluation zeigt, dass das Thema der Veranstaltung für die Teilnehmenden hochrelevant und das Format passend war. Die Teilnehmenden bewerteten die Veranstaltung insgesamt in den Bereichen Organisation, Inhalt und Ergebnis durchweg positiv. Sowohl das bibliothekarische als auch das wissenschaftliche Personal begrüßte den Austausch. Ergänzende Kommentare einiger Teilnehmender unterstrichen die gelungene Auswahl der Themengebiete oder gaben konstruktive Vorschläge zur Verbesserung oder Weiterentwicklung des auch für die Veranstalter*innen neuen Formats. Mit Blick auf zukünftige Veranstaltungen wurden vor allem vertiefende Veranstaltungen zu einzelnen Themenfeldern vorgeschlagen. Die Teilnehmenden wünschten sich insbesondere eine Ausweitung auf weitere Fachgebiete, die in dieser Veranstaltung nicht vertreten waren, sowie das Angebot einer auf ein Fachgebiet spezialisierten Veranstaltung mit dem Ziel einer Vertiefung der behandelten Fragestellungen. Weitere Wünsche betrafen Veranstaltungen, die den Fokus auf Forschungsdatenmanagement, Metadaten, Publikationsunterstützung oder Vermarktung vorhandener forschungsnaher Dienste gegenüber den Wissenschaftler*innen legen. Mit Blick auf die Dauer der Veranstaltung wurde angeregt, ein längeres Format wie z.B. eine einwöchige Summer School in Betracht zu ziehen.
Das von der Kommission forschungsnahe Dienste des VDB entwickelte Konzept der Veranstaltung hat sich als tragfähig erwiesen. Eine Wiederholung der Veranstaltung ist ebenso vorstellbar wie eine Weiterentwicklung des Formats, z.B. im Sinne einer Fokussierung auf eine Fachdisziplin oder ein Handlungsfeld. Die Mitglieder der Kommission erwägen ebenso eine Nachnutzung des Veranstaltungsformats für lokale, institutionsbezogene Veranstaltungen. Als erfolgskritisch darf die Auswahl der Referent*innen gesehen werden – nur dadurch wird eine enge Verzahnung von Forschenden und Anbietern forschungsnaher Dienste erreicht werden können.
Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5634
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.
1 RfII – Rat für Informationsinfrastrukturen: Digitale Kompetenzen – dringend gesucht! Empfehlungen zu Berufs- und Ausbildungsperspektiven für den Arbeitsmarkt Wissenschaft, Göttingen 2019. Online: <http://www.rfii.de/?p=3883>, Stand: 18.11.2020.
2 Workshop „Was ist Forschung?“, Programm unter <https://www.vdb-online.org/veranstaltungen/848/>, Stand: 18.11.2020.
3 Kommission für forschungsnahe Dienste, <https://www.vdb-online.org/kommissionen/forschungsnahe-dienste/>, Stand: 18.11.2020.
4 RDMO steht für „Research Data Management Organiser“, ein Tool zur Erstellung von Datenmanagementplänen.
5 Leibniz-Gemeinschaft: Leitlinie zum Umgang mit Forschungsdaten in der Leibniz-Gemeinschaft, 2019. Online: <https://www.leibniz-gemeinschaft.de/fileadmin/user_upload/Bilder_und_Downloads/Forschung/Open_Science/Leitlinie_Forschungsdaten_2018.pdf>, Stand: 18.11.2020.
6 Engelkenmeier, Ute; Moßburger, Luis; Schade, Frauke; Stille, Wolfgang: [Berufsfeld.rebooting ...] Wofür steht das Berufsfeld Bibliothek und Information heute? Entwicklung einer zeitgemäßen Definition von Bibliothek. In: BuB 72 (2020), H. 5, S. 282-285. Online: <https://b-u-b.de/wp-content/uploads/2020-05.pdf>, Stand: 18.11.2020.