2020/4
Fühles-Ubach/Georgy (Hrsg.): Bibliotheksentwicklung im Netzwerk
Bibliotheksentwicklung im Netzwerk von Menschen, Informationstechnologie und Nachhaltigkeit : Festschrift für Achim Oßwald / herausgegeben von Simone Fühles-Ubach und Ursula Georgy. – Bad Honnef: Bock + Herchen, 2019. – 333 Seiten : Illustrationen. – ISBN 978-3-88347-311-6 : EUR 22.90 (auch als E-Book verfügbar)
Der Sammelband „Bibliotheksentwicklung im Netzwerk von Menschen, Informationstechnologie und Nachhaltigkeit“ ist eine Festschrift für Achim Oßwald, um sein berufliches Leben und seine Verdienste als Professor am Institut für Informationswissenschaften der TH Köln zu würdigen. Der Band ist als PDF-Dokument im Open Access verfügbar.1 Wie der Titel bereits nahelegt, wird hier das komplexe Geflecht, in dem wir uns heute im Zuge des digitalen Wandels befinden, thematisiert. Die Herausgeberinnen Simone Fühles-Ubach und Ursula Georgy machen dabei die drei Themenschwerpunkte Mensch, Informationstechnologie und Nachhaltigkeit aus, die auch für das Wirken des Gewürdigten von zentraler Bedeutung sind. Die Beiträge in diesem Sammelband werden jeweils in eine der drei Kategorien eingeordnet.
Der Mensch steht bei allen Betrachtungen im Mittelpunkt: Kompetenzen, Fähigkeiten, Rollen, Karrierestatus, Entwicklungsziele, um einige Aspekte zu nennen. Der Fortschritt in der Informationstechnologie schafft Möglichkeiten der Automatisierung und bringt gleichzeitig einen Wandel der Betätigungsfelder für Bibliotheken. Dies führt auch dazu, dass sich die Kompetenzprofile bzw. ihre jeweiligen Gewichtungen in Zukunft von den derzeitigen unterscheiden werden. Nachhaltigkeit bedeutet in diesem Sinne, Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote zu entwickeln, die diesem Wandel Rechnung tragen, und Möglichkeiten zu schaffen, den beschriebenen Wandel mitzugestalten. Nachhaltigkeit bedeutet auch Strategien und Technologien zu entwickeln, um Daten und Informationen nachhaltig sichern und zur Verfügung stellen zu können. Im Folgenden sollen nicht die Beiträge einzeln diskutiert werden, sondern es werden in den drei Themenkomplexen Schwerpunkte und Trends ausgemacht und eingeordnet.
Für den ersten Abschnitt lassen sich drei Schwerpunkte im Kontext „Menschen“ ausmachen: (i) Job- bzw. Kompetenzprofile inklusive Kompetenzaufbau, (ii) Bildungsauftrag der Bibliotheken und (iii) Informationsdienstleistungen. Zu (i) können die Beiträge von Albert Bilo, Gerhard Bissels und Dorothee Heidebroek-Hofferberth gezählt werden. Bei ihnen stehen die Kompetenzen von (zukünftigen) Information Professionals in Bibliotheken im Fokus.2 Die Autorinnen und Autoren stellen damit auch Karrierewege dar, die sich z.T. erst neu herausbilden – z.B. im Forschungsdatenmanagement. Dies geht einher mit der Entwicklung von Bibliotheksdienstleistungen, die sich zurzeit sehr stark an der Zielgruppe der Forschenden orientiert. Hierbei kämen disziplinspezifische Kenntnisse, aber auch Meta-Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Agilität, Resilienz neu hinzu. Entsprechend entwickeln sich die Aus- und Fortbildungsangebote weiter. Neben der grundständigen Ausbildung spielen berufsbegleitende Ausbildung und Zertifizierung eine wichtige Rolle. Heidebroek-Hofferberth präsentiert als Beispiel dafür den berufsbegleitenden Masterstudiengang MALIS. Ergänzt wird dies durch Fortbildungsangebote des Zentrums für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung (ZBIW). Beide Angebote der TH Köln sind eng mit dem Wirken von Achim Oßwald verbunden.
Sowohl Ute Krauß-Leichert als auch Joachim Metzner erörtern den Bildungsauftrag der Bibliotheken. Dieser hängt auf der einen Seite mit dem vorher beschriebenen Kompetenzaufbau der Information Professionals zusammen. Andererseits geht es um die Unterstützung einer viel breiteren Zielgruppe (Forschende – Studierende – Öffentlichkeit). Krauß-Leichert und Metzner erörtern dies für öffentliche bzw. wissenschaftliche Bibliotheken. Beide Beiträge unterstreichen dabei den unterstützenden Charakter der Bibliotheken. Sie stellen einen Ort jenseits des curricularen Rahmens dar, an dem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen zum Austausch, zum gemeinsamen Experimentieren, zum gemeinsamen Lernen zusammenkommen können. Es wird aber auch schnell deutlich, dass darüber hinaus eine Vernetzung und institutionalisierte Kooperationen mit weiteren Akteuren (z.B. in Form von Bildungskooperationen) immer wichtiger werden, um gemeinsam die komplexen Herausforderungen des digitalen Wandels effektiver angehen zu können. Metzner geht noch weiter und skizziert ein Bild, in dem Bibliotheken insbesondere dazu geeignet sind, explorativen, kreativen, gestaltenden und damit auch Kontexte reflektierenden Bildungspraktiken Räume zu schaffen. Dies entspreche der Vermittlung von Haltungen, unterstütze also die Persönlichkeitsbildung und ermögliche Bildungsprozesse in Netzwerken und Communities.
Den dritten Schwerpunkt bilden neue Informationsdienstleistungen von Bibliotheken. Hier stehen Forschende und die Qualitätssicherung ihrer Forschung im Zentrum der Aufmerksamkeit. Alexander Botte, Marc Rittberger, Christoph Schindler und Elisabeth Vogler diskutieren in ihrem Beitrag neue Metriken zur Erfassung des wissenschaftlichen Outputs (Altmetrics) als Basis für die Weiterentwicklung von Reputationsmechanismen, wohingegen Nadine und Nicole Walger die Sicherung der guten wissenschaftlichen Praxis betrachten. Der Einsatz und der Entwicklungsstand von Altmetrics seien heute noch sehr heterogen über die Disziplinen verteilt. Diese Art der Wirkungsmessung könne in den Bildungswissenschaften zurzeit nur als Ergänzung zu den herkömmlichen bibliometrischen Verfahren angesehen werden. Im Bereich der Qualitätssicherung wissenschaftlicher Arbeit können Bibliotheken, die als anerkannte Institutionen von Informationsexpertinnen und -experten gelten, durchaus ein wichtiger Player sein. Hierzu passen Elemente des gesamten neueren Bibliotheks-Dienstleistungsspektrums von Schulungen bis hin zu technischen Dienstleistungen in den Bereichen Publizieren und Forschungsdatenmanagement. Mit der Forderung nach qualifiziertem Personal zur Umsetzung solcher Angebote schließt sich der Kreis.
Der Abschnitt „Informationstechnologie“ adressiert im Wesentlichen zwei Bereiche: (i) die mit IT verbundenen Konzepte und relevanten Kompetenzen und (ii) konkrete technisch orientierte Dienstleistungen. In die erste Gruppe fallen Beiträge über Informationskompetenz, Datenkompetenz sowie Datenkultur und Metadaten (Maurizio Grilli; Heike Neuroth; Joachim Schöpfel; Katrin Steiner; Christian Wolff). Die im ersten Abschnitt diskutierten Kompetenzen werden aufgegriffen und im IT-Kontext konkretisiert. Zum einen diskutiert Steiner in ihrem Beitrag eine kritische Informationskompetenz anhand von Suchmaschinentechnologien, also u.a. die Fähigkeit, Tendenzen (Biases) in den eingesetzten Informationstechnologien wie auch sozio-ökonomische Machtstrukturen zu erkennen und bewerten. Damit verbunden ist ein Appell an die Information Professionals in Bibliotheken, sich stärker in die politisch-gesellschaftliche Debatte einzubringen. Die Informationskompetenz wird ergänzt durch das Konzept der Datenkompetenz oder Data Literacy (Wolff), da Daten als Grundlage von Informationen und Erkenntnisgewinn enorm an Bedeutung gewonnen haben. Dachkonzepte wie Digital Literacy vereinigen Informations- und Datenkompetenz. In diesem Sinne können Daten- und Informationsebene nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Die Fokussierung bzw. Reduktion auf eine der beiden könne als problematische Verkürzung im Kontext der Digitalisierung angesehen werden. Im Kontext der Konzepte spielen Metadaten eine wichtige Rolle. Neuroth diskutiert, dass Metadaten ihre „Unschuld verloren haben“, wenn sie heute beispielsweise dafür eingesetzt werden, Menschen und ihr Konsumverhalten genau zu charakterisieren und zu beeinflussen. Neben diesem ethischen Aspekt sind Metadaten auch technisch/inhaltlich von großer Bedeutung, wenn es um die Beschreibung, Dokumentation und Herstellung von Kontext geht und die neuen Möglichkeiten der Vernetzung von Daten betrachtet werden. Im Zusammenhang damit steht die Förderung einer offenen Datenkultur. Mit Blick auf die Sozial- und Geisteswissenschaften zeigt der Beitrag von Schöpfel praktische Wege zur Unterstützung und Etablierung einer auf Offenheit, Transparenz und Teilen ausgelegten Datenkultur auf.
Der zweite Schwerpunkt behandelt (technische) Dienstleistungen und reicht von Open-Access-Dienstleistungen, Erklärvideos über fachspezifische Angebote zu kooperativen gebündelten Angeboten (Ulrike Hanke und Stephan Holländer; Martina Kuth; Rudolf Mumenthaler; Beate Tröger und Britta Meersmann). Im Zuge der OA-Transformation gewinnt für Bibliotheken neben der Informationsversorgung – also dem Zugang zu Ressourcen – die Unterstützung des Publikationsprozesses immer mehr Bedeutung. Bibliotheken können hier als neue, aber anerkannte, offene und qualitätsgesicherte Publikationsakteure auftreten (Mumenthaler). Gleichzeitig bieten die Bibliotheken auch Monitoring-Dienste an. Wie bereits bei Altmetrics angeklungen, gelte es hier genau herauszuarbeiten, welche Größe wie und wozu gemessen werden soll. Für dieses zukunftsträchtige Feld müssen jedoch eine Reihe etablierter Geschäftsprozesse angepasst werden. Bibliotheken stehen mit ihren Angeboten nicht alleine da. Insbesondere wenn es um die Forschungsunterstützung geht, zeigt sich immer häufiger der Vorteil der Zusammenarbeit mehrerer Dienstleister (z.B. Rechenzentrum, fachspezifische Dienstleister, Drittmittelverwaltung usw.), um die verschiedenen Bedarfe im Forschungszyklus effektiv abzudecken. Dies wird am Beispiel des Center for Digital Humanities an der Universität Münster beschrieben (Tröger und Meersmann). Die Automatisierung von Prozessen, insbesondere im Zusammenhang mit der Anwendung von Künstlicher Intelligenz, und die Anreicherung mit bzw. Einführung von einer Reihe von „smarten“ Technologien wie Assistenzsysteme, Personalisierungsalgorithmen, Customized Services ist ein weiterer Schritt und wird hier am Beispiel von Legal Tech in Kanzleien vorgestellt (Kuth). Neben der Ausrichtung an Bedarfen stellt diese Art von Serviceentwicklung auch einen Kompetenzaufbau der Einrichtung dar und somit die Möglichkeit, mit State-of-the-Art-Kompetenzen als Partnerin im Forschungsprozess zu agieren.
Der dritte Abschnitt „Nachhaltigkeit“ greift eine Reihe von Elementen der ersten beiden Abschnitte auf, indem er sich mit der Adaptabilität und Resilienz hinsichtlich Kompetenzen (Simone Fühles-Ubach und Ursula Georgy; Stephan E. Funk, Stefan Strathmann und Claudia Engelhardt; Josef Herget; Rainer Kuhlen) und der Nachhaltigkeit von Informationsinfrastrukturen (Reinhard Altenhöner; Peter Kostädt; Jonas Recker) beschäftigt. Hier werden besonders die Vernetzung und Komplexität deutlich, die durch den digitalen Wandel bedingt wird. Um Informationsressourcen langfristig auffindbar und nutzbar zu machen, müssen verschiedenste technische, organisatorische und kontextuelle Aspekte berücksichtigt werden. Gerade letztere können einen großen Einfluss auf die zu treffenden Erhaltungsmaßnahmen haben. Das ist ein zentraler Aspekt, den Recker in seinem Beitrag über die Schnittstelle zwischen Forschungsdatenmanagement und Langzeitarchivierung beschreibt. Hier spielen potenzielle (zukünftige) Zielgruppen und Anwendungsfälle eine zentrale Rolle. Sie bestimmen maßgeblich, welche Daten, Informationen und Komponenten erhalten werden sollen. Ganz ähnlich betrachtet Altenhöner die Webarchivierung. Auch hier ist die zentrale Frage, welche Inhalte für welche Zielgruppen und mit welchen Mitteln gesichert werden sollen. Eng damit verbunden sind Personalbedarf und Technisierung. Gerade im Bereich der Webarchivierung stagniere in den letzten Jahren der Ausbau bzw. die Weiterentwicklung in die Breite. Auch das praktische Beispiel einer Archivierung von digitalen Sammlungen (Kostädt) zeigt, dass es zwar erste Beispiele gibt, aber die Aufwände sowohl bei der Anpassung der Arbeitsabläufe als auch der kontinuierlichen Kuratierung erheblich sind und hier ein weiterführender und breiterer Diskurs notwendig wäre, um die Bedeutung des Themas Digitale Archivierung deutlich zu machen und damit die entsprechende Entwicklung voranzutreiben.
Für den Erfolg von Webarchivierung, aber auch für die Informationsversorgung im Zuge der OA-Transformation sind die rechtlichen Rahmenbedingungen durch das Wissenschaftsurheberrecht maßgeblich. Kuhlen appelliert in seinem Beitrag für mehr Mut von Rechtsprechung und Rechtsetzung im Wissenschaftsurheberrecht und für mehr Rechtssicherheit in sich wandelnden Zeiten (besonders im technologischen Feld). Die Leitidee des offenen Umgangs mit Wissen und Information, der überwiegend durch öffentliche Mittel ermöglicht werde, steht dem Autor zufolge im Widerspruch zu einem Urheberrecht, welches nicht das Wissen selbst, aber den Zugriff auf Werke, die dieses Wissen repräsentieren, einschränkt – quasi als eine Art Handelsrecht. Auch hier sei ein weiterführender Diskurs nötig. Es gebe aber genug Beispiele für die erfolgreiche Weiterentwicklung von Gesetzen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, u.a. durch neue Interpretationen der Gerichte oder aber im politischen Gesetzgebungsprozess. Dafür, so der Aufruf von Kuhlen, bedürfe es einer intensiven aktiven Teilnahme der Information Professionals am Transformationsgeschehen.
Der Beitrag von Funk, Strathmann und Engelhardt gibt wie der von Kostädt Einblicke in die praktische Umsetzung von Archivierungsmaßnahmen. Er steht aber eher im Kontext der Aus- und Weiterbildung. Beschrieben werden Schulungsprogramme im Rahmen des Kompetenznetzwerks nestor und ein sehr konkretes typisches Archivierungsproblem. Nachhaltigkeitsaspekte in der Aus- und Weiterbildung und in den Arbeitspraktiken der Informationsarbeit fokussierten sich wieder auf den Menschen, der u.a. die oben beschriebenen Infrastrukturen konzipiert, plant, umsetzt oder nutzt. Als zentraler Beitrag erscheint hier der Artikel von Herget. Es wird knapp der geschichtliche Ablauf über die letzten 40 Jahre in Form eines evolutionären Prozesses skizziert. Wesentliche Beobachtung ist ein Paradigmenwechsel bei der Bedeutung der IT bzw. des Informationsmanagements in Unternehmen von reiner Unterstützung hin zu einer das Geschäftsmodell treibenden innovativen Kraft. Dabei sei abermals die massive Vernetzung von digitalen Ressourcen und Menschen von großer Bedeutung für den Wandel der Informations- und Wissensarbeit: Menschen arbeiten verstärkt kollaborativ; Wissensintegration ist Team-Arbeit, die verstärkt durch Algorithmen unterstützt bzw. geleitet wird; Automatisierung auch bei der Entscheidungsfindung, z.T. basierend auf Big Data; hybride und fluide Organisationsformen. Dies bedeute immer kürzere Entwicklungszyklen und sich kontinuierlich verändernde Qualifikationsprofile sowohl von Mitarbeitenden als auch von Unternehmen. Somit werden Flexibilität und Informationsmanagement zu zentralen Einflussfaktoren für die erfolgreiche Unternehmensführung.
Was gerade für Unternehmen beschrieben wurde, spiegelt sich bei der Weiterentwicklung des MALIS-Studiengangs wieder. Fühles-Ubach und Georgy beschreiben den Reakkreditierungsprozess des MALIS-Studiengangs an der TH Köln, bei dem es darum geht, auf die Änderungen des Berufsfelds in einem multiperspektivischen Prozess zu reagieren. Ganz ähnlich wie in anderen Beiträgen dieses Sammelbands ergibt die Analyse dieses Prozesses, dass es drei Bereiche gibt, in denen eine signifikante Entwicklung von Anforderungen festzustellen ist: (i) Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftspolitik, Ethik, (ii) Support für datengetriebene Wissenschaft und (iii) Lernprozesse, Metakompetenzen, Veränderungsprozesse. Der stete, schnelle Wandel stelle allerdings für die curriculare Entwicklung eine Herausforderung dar. Mit offenen Wahlpflichtbereichen einerseits, mit Zertifikatskursen im Rahmen der wissenschaftlichen Weiterbildung andererseits ließen sich relativ flexibel Änderungen bzw. Neuerungen der beruflichen Praxis aufgreifen. Auch die Ideen des „Lifelong Learning“ und der „Continuing Education“ aus den vorigen Kapiteln werden wieder aufgegriffen. Weiterentwicklung gebe es auch in den Lerntechnologien und Weiterbildungsformaten. Gerade im berufsbegleitenden Umfeld finde man das Konzept der „Microtrainings“. Es ließen sich Blended-Workflow-Learning-Konzepte entwickeln, die es erlauben, Arbeits- und Lernprozesse zusammenzudenken. Hier finde auch wieder ein Anschluss an das offene und vernetzte Lernen in Communities statt. Adaptive Lernsysteme zur Unterstützung der individuellen Lernbedürfnisse werden als nächste Schritte bereits erprobt.
In allen drei Teilen stehen der Mensch und der Kompetenzauf- und ausbau im Zentrum. Die anfangs genannten Kompetenzen werden im Abschnitt Informationstechnologie konkretisiert, wobei dieser Begriff hier relativ weit gefasst wird. Der Abschnitt Nachhaltigkeit steht im Zeichen des lebenslangen Lernens. Was mit einer Perspektive auf Information Professionals beginnt, wird durch eine stärkere Ausrichtung auf Forschungsunterstützung und eine Erweiterung des Bildungsauftrags von Bibliotheken in Bezug auf Data und Digital Literacy ausgeweitet. Die großen Herausforderungen hierbei sind die Hyperkonnektivität nicht nur von Daten und Informationen, sondern auch von Menschen (z.B. beim gemeinsamen Lernen) und der rasante technologische Wandel.3 Dies führt zu dem Bild einer „White Water World“, in der das Verständnis von Kontext, Sinnbildung, Vorstellungskraft und damit auch Anpassungsfähigkeit besondere Bedeutung erlangen.4 Diese Aspekte werden hier beleuchtet und entsprechende Praktiken angedeutet. Man merkt aber auch, dass diese Entwicklung – insbesondere wegen der vielen involvierten Stakeholder – noch relativ am Anfang steht. Dabei wird auch deutlich, dass die Überwindung solcher Herausforderungen z.T. über die Grenzen der Bibliotheken hinausgeht und sich die Zusammenarbeit mit weiteren Playern als wesentlicher Vorteil erweist (vgl. Tröger und Meersmann).
Eine Diskussion über ethische Aspekte bzw. eine kritische Reflexion etablierter Praktiken und aktueller Trends findet in einzelnen Artikeln statt, könnte aber insgesamt intensiver und weitergehend geführt werden. Welchen Einfluss haben solche Überlegungen beispielsweise auf das Selbstverständnis von wissenschaftlichen Bibliotheken? Die Beiträge im vorliegenden Band verdeutlichen auch den Spagat, den bibliothekarische Akteure im digitalen Wandel eingehen, von der Reaktion auf Änderungen (passiv) zur aktiven Gestaltung von digitaler Kultur. Die Bibliothek lässt sich als „offenes System“ ansehen, als Ort des Austauschens, Reflektierens und gemeinsamen Lernens.5 Dies ist sowohl für den Bildungsauftrag als auch für die Bibliotheksentwicklung selbst relevant. Hierbei könnte die Bibliothek im Sinne einer Werkstatt der Wissenschaft noch um eine Art Labor ergänzt werden, welches den spielerischen, experimentellen Charakter betont.6 Dies käme sowohl den Nutzenden als auch der Bibliothek als Organisation und ihren Angestellten zugute. Um eine solche experimentelle Herangehensweise zu verwirklichen, bedarf es sicherlich des Muts und Engagements Einzelner. Hinzu kommen sowohl Vorstellungskraft, Strategien und Rückhalt auf Leitungsebene als auch Personal mit entsprechenden Kompetenzen bzw. dem Willen, sich solche anzueignen.
Neue Technologien wie künstliche Intelligenz, Automatisierung oder personalisierte Dienste werden angerissen, wobei meist der Kompetenzbegriff im Vordergrund (Kompetenzaufbau) steht, gepaart mit Fragen nach personellen Ressourcen. Gerade im Bereich der Langzeitsicherung und -verfügbarmachung von Informationen wird im Zusammenhang mit Ressourcen deutlich, dass eine reine Akkumulation von Daten und Informationen unrealistisch und eine Selektion bzw. Priorisierung vonnöten ist.7 Dies ist nur ein Beispiel. An mehreren Stellen in der Festschrift wird für einen sehr wichtigen stärkeren Dialog über die Bedarfserhebung und die Abstimmung gemeinsamer Ziele geworben. Dazu gehören auch gesellschaftspolitische Abstimmungsprozesse.
Insgesamt deckt der Sammelband eine große Bandbreite von wichtigen Aspekten bei der Bibliotheksentwicklung im derzeitigen digitalen Wandel ab. Der soziologische Einfluss der Technologieentwicklung scheint derzeit maßgeblich zu sein. Ganz klar dominieren hier der Kompetenzbegriff und die zukünftigen Aufgaben und Arbeitsweisen die Diskussion. Und dabei spiegelt sich auch das berufliche Schaffen von Achim Oßwald wider. Obwohl die starke Vernetzung der Themen zu einer Aufweichung der Abgrenzung zwischen ihnen führt, ist die Zuordnung der Beiträge zu den drei Kategorien Menschen, Informationstechnologie und Nachhaltigkeit den Herausgeberinnen gelungen.
1 Online: <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:79pbc-opus-16232>.
2 Der Begriff des Information Professional soll hier verwendet werden, um auch neue Profile wie Data Librarian, Data Steward, Teaching Librarian, Data Manager, Embedded Librarian usw. zu berücksichtigen.
3 Vgl. Brown, John Seely: Changing how we think about and lead change, Präsentation beim ARL Fall Forum, Los Angeles, 12.10.2012, <http://www.slideshare.net/johnseelybrown/ff12-brown>, Stand: 06.12.2020; Valverde, Sergi: Major transitions in information technology, in: Philosophical transactions of the Royal Society B 371 (1701), 2016, <https://doi.org/10.1098/rstb.2015.0450>.
4 Vgl. Pendleton-Jullian, Ann M.; Brown, John Seely: Design unbound. Designing for emergence in a white water world, Bd. 1, Cambridge 2018; Thomas, Douglas; Brown, John Seely: A new culture of learning. Cultivating the imagination for a world of constant change, Charleston, SC 2011.
5 Vgl. Sennett, Richard: Building and dwelling. Ethics for the city, London 2018.
6 Vgl. Horstmann, Wolfram: Die Bibliothek als Werkstatt der Wissenschaft, in: Bibliothek Forschung und Praxis 38 (3), 2014, S. 503–505. Labor hier gemeint im Zusammenhang mit einer experimentellen Herangehensweise im wissenschaftlichen Sinne, d.h. Hypothesen aufzustellen und diese zu erproben. Und im Falle, dass das Experiment negativ ausgeht, sollte das Ergebnis nicht als Versagen angesehen werden, sondern als etwas, woraus man etwas lernen konnte.
7 Vgl. Lyotard, Jean-Francois; Jameson, Fredric: The postmodern condition. A report on knowledge, Minneapolis 1984, S. 4; Rat für Informationsinfrastrukturen: Konferenzbericht Herausforderung Datenqualität – Forschung im digitalen Wandel. Interdisziplinäre Konferenz am 27./28.02.2020 in Hannover, Göttingen 2020, <http://www.rfii.de/?p=4325>, Stand: 06.12.2020.
https://doi.org/10.5282/o-bib/5655
Rezensionen
https://doi.org/10.5282/o-bib/5655
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