Eine Exkursion der gemeinsamen Baukommission von VDB und dbv1 nach Rotterdam und Umgebung
In den vergangenen Jahren standen Begriffe wie „Lernort“ oder „Dritter Ort“ häufig im Mittelpunkt der Diskussion, wenn es um Anforderungen an neue Bibliotheksbauten ging. Nicht nur in der Arbeit der gemeinsamen Baukommission von VDB und dbv ist aber deutlich geworden, dass es neben diesen für die bauliche Entwicklung von Bibliotheken wichtigen Themen auch andere Fragen gibt, die eine nähere Betrachtung verdienen. Im Oktober 2019 machte sich die gemeinsame Baukommission von VDB und dbv mit einer Gruppe von Kolleg*innen aus fast allen Bundesländern in die Niederlande auf, um dort unterschiedliche Bibliotheksneu- und -umbauten der letzten Jahre unter verschiedenen Fragestellungen zu besuchen.
Hintergrund war die von BID und dem Partnerverband FOBID initiierte Kampagne „Partnerland Niederlande“, die den fachlichen Austausch mit dem Nachbarland befördert. Die Baukommission entschied sich bei der Planung sehr bewusst für einen Mix aus Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken: Zum einen, um den aktuellen Bibliotheksbau in den Niederlanden in seiner ganzen Vielfalt zu diskutieren, und zum anderen, da viele der besonders interessante Themen am besten spartenübergreifend betrachtet werden können.
In der Nachbereitung der Exkursion und für diesen Bericht haben sich die Mitglieder der Kommission entschieden, die Themen Präsentation gedruckter Bestände im Spannungsfeld von Digitalisierung und Flexibilisierung, Arbeitsplatzlösungen und Arbeitsumgebungen für Mitarbeiter*innen sowie Raumkonzepte generell in den Mittelpunkt zu stellen. Dies beruht auch auf der Wahrnehmung, dass der Erkenntnisgewinn beim Besuch von Bibliotheken dann am größten ist, wenn konkrete Themen oder Fragen verfolgt werden.
Wie präsentieren die Bibliotheken ihre Bestände?
Buchbestände sind nach wie vor das herausragende Merkmal einer jeden Bibliothek. Obgleich vielfach überwiegend als Kommunikationsort und Lern- oder Arbeitsplatz genutzt, verzichtet daher kaum ein Bibliotheksplaner auf die Möglichkeit, Buchbestände attraktiv zu präsentieren oder sogar spektakulär zu inszenieren. Dies bestätigte sich in vielfacher Hinsicht bei unserem Besuch der niederländischen Bibliotheken.
Das Architekturbüro Mecanoo in Delft hatte das im Jahr 1997 eröffnete und 2010 nochmals renovierte Gebäude der Zentralbibliothek der Technischen Universität Delft so umgesetzt, dass in dem zentralen Bibliotheksraum neben Cafeteria und Lernplätzen die intensiv genutzten Bestände als große blaue Wand gegenüber dem Eingang präsentiert werden. Insgesamt 80.000 Bücher – rund 10 Prozent des Gesamtbestandes – sind über mehrere Etagen offen angeordnet und über Leiterstege erreichbar.
Auch das in die Theke integrierte niedrige Rückgaberegal inszeniert das Buch als Objekt vor beleuchtetem Hintergrund.
Wie die Architekten der TU Delft verzichteten die Architekten von aatvos BV beim Umbau des alten Gebäudes aus den 70er Jahren zur modernen Stadtbibliothek „DOK Delft“ nicht auf die Gelegenheit, Bücher und Medien attraktiv zu präsentieren. Nahtlos leiten Regale mit Kochbüchern aus dem im Eingangsbereich angeordneten Cafeteria-Bereich in die Bibliothek über.
In der Bibliothek dominieren fahrbare, den Raum gestaltende Buchregale. Vor dem Aufgang in das Obergeschoss sind sie vor der großen Sitztreppe platziert und können bei Veranstaltungen jeder Art beiseite gefahren werden.
Auch in den oberen Stockwerken sind die Regale zum großen Teil mobil, zum Beispiel in der Abteilung für Kinderbücher für Veranstaltungen.
Völlig anders ist die Situation in der altehrwürdigen Universitätsbibliothek Leiden, die bereits 1575 gegründet wurde und sich heute in einem Gebäude aus den 70er Jahren befindet, das in einem längeren Prozess nach und nach für die heutigen Anforderungen ertüchtigt wird. Zuletzt wurde ein Flügel des Gebäudekomplexes aufgestockt und hier die vorher verstreuten, umfangreichen Bestände zu Süd-Asien, Japan und Korea aus mehreren Institutsbibliotheken zu einer großen „Asian Library“ zusammengeführt. Als gestalterisches Leitmotiv der Bestandspräsentation dient die Farbe Rot in Böden und Regalen. Man findet sie auch in den originellen, die Regalfluchten auflockernden Arbeitsplätzen.
Sehr zurückgenommen ist die Präsentation von Buchbeständen in der Bibliothek der Erasmus-Universität in Rotterdam. Dies ist kongruent zur Politik der Bibliotheksleitung, die den Schwerpunkt auf das Angebot digitaler Dienste und die Forschungsdienste legt. Die Bibliothek, in den 70er Jahren erbaut, wurde komplett saniert und modernisiert und 2017 neu eröffnet. Beim Umbau wurde der Schwerpunkt auf die Ausweitung von Lernplätzen gelegt und auf die transparente Gestaltung der Flächen. Die jetzigen Regale sind konsequenterweise niedrig gehalten und treten optisch in den großzügigen Lernflächen in den Hintergrund.
Die Erbauer (Architekten MVRDV, Rotterdam) der Stadtbibliothek Spijkenisse wiederum rücken den Bestand als Rückgrat des Baus dominant in Szene. Der Bücherberg („De Boekenberg“) wurde 2014 eröffnet; eine gläserne Pyramide überwölbt den mit Regalen verkleideten mehrgeschossigen Kern. Die Bibliothek der kleinen Gemeinde nahe Rotterdam war im Eröffnungsjahr auch Finalist bei dem Wettbewerb „Public Library of the Year“ der IFLA. Man kann die Bibliothek auch als Vorübung des Rotterdamer Architekturbüros MVRDV sehen, das in der spektakulären Binhai-Bibliothek in Tianjin (China) eine – wenn auch nur bedingt funktionale – Bestandspräsentation in ganz großem Maßstab verwirklichte.
Die letzte Station der Reise war Tilburg, wo in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof die Bibliotheek Midden-Brabant LocHal im Jahr 2019 eröffnet wurde. Hier wurde eine leerstehende Lokomotiven-Reparaturhalle aus dem Jahr 1932 zu einer innovativen Bibliothekslandschaft umgebaut, die Café, Kiosk, Bühnen- und Veranstaltungsflächen, Lernplätze, Co-Working-Räume und verschiedene Labs vereinigt. Die Buchbestände verteilen sich in der weitläufigen Industriehalle um eine große Freitreppe und gehen nahtlos in den Cafeteria-Bereich über. Die Vorhänge dienen als Gliederungselemente und können als Raumteiler eingesetzt werden, bewahren dabei aber immer den offenen Charakter der Bibliothek, die sich als „Livingroom of the City“ versteht.
Das Gestaltungsprinzip „Offenheit des Gebäudes“, das sich auch bei der Bestandspräsentation zeigt, soll die „Offenheit des Entdeckens“ (Ingrid van der Heijden, Architektin), das neue Lernen und die Aneignung neuen Wissens fördern. LocHal bietet „Erlebnisräume“ mit und zwischen Büchern, die inspirieren und motivieren sollen, mit dem erklärten Ziel der Architekten, die die Bibliothek LocHal gestaltet haben, und der Bibliothekar*innen, die dort tätig sind, die Welt zu einem besseren Ort machen zu wollen (De Kok).
Wie werden zeitgemäße Mitarbeiter*innenplätze und Teambüros gestaltet?
Innovative Raumkonzepte und eine hohe Gestaltungsqualität des Publikumsbereichs spiegeln sich auch in den Bürobereichen bzw. Verwaltungstrakten verschiedener Bibliotheken wider. Die Teambüros unterstützen Flexibilität und Selbstverantwortlichkeit.
In der Bibliothek der TU Delft fielen die Abteilungsbüros im Souterrain, beispielsweise das des Fernleihteams, mit ihrer großzügigen und farbenfrohen Gestaltung ins Auge. Mindestens eine Wand je Arbeitsraum wird in gesamter Ausdehnung von einer Fototapete eingenommen; das Motiv konnten sich die Teams selbst aussuchen. So erhielt jedes Team einen individuellen „Hingucker“, der dem Raum eine unverwechselbare Signatur gibt. In der Möblierung zeigt sich eine jeweils selbst gewählte Mischung aus geclustertern Einzelarbeitstischen, Besprechungstisch und gemütlicher Sitzecke.
Ein anderes Modell besteht in einer zentralen Workbench für alle; die jeweiligen persönlichen Arbeitsunterlagen sind in einer Art Sideboard aus aneinandergereihten Containern untergebracht. Zusätzlich wird ein Raum für überwiegend mobil arbeitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeboten, wo sich jede und jeder einfach einen freien Platz zum Arbeiten und zum Andocken des Laptops nehmen kann, und wo ein Kaffee- und Snackautomat bereitsteht.
Die Bibliothek der Rotterdamer Erasmus-Universität geht noch einen Schritt weiter. Feste Theken wurden bis auf eine einzige Ausnahme abgeschafft, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Benutzungsbereich sind überwiegend mobil unterwegs. Für den Verwaltungstrakt gab die Bibliotheksleitung das Ziel aus, 25% der Mitarbeiterplätze einzusparen. Die Teams erhielten ein großzügiges Budget für die Neugestaltung ihrer Büros und entschieden gemeinsam, wer sich Arbeitstische teilt und wie viel Platz erwirtschaftet werden soll für gemeinschaftliche Bereiche wie Besprechungstisch und Sofaecke. Jedes Team konnte auch autonom ein eigenes Farbkonzept entwickeln und Designermöbel aussuchen.
Im Flur des Verwaltungstrakts gibt es, eingelassen in die Wand, Schließfächer für alle Mitarbeiter*innen für Arbeitsunterlagen und sonstige persönliche Dinge.
Daneben stehen in der Flurecke ein Bartisch mit Hockern und ein Whiteboard, auf dem verschiedene Projekte und ihre Bearbeitungsstände ablesbar sind, garniert mit Post-its für die anstehenden Aufgaben. Der Gesamteindruck ist kommunikativ, beweglich und innovationsfördernd.
Leitsysteme erleichtern die Orientierung
Aufgefallen sind die verschiedenen Beschriftungen, die zum Teil originell und unkonventionell in den Bibliotheken angewendet werden. Beschriftung kann verschiedene Aufgaben erfüllen, sie kann als Leitsystem verstanden werden und so die Orientierung in Gebäuden erleichtern oder definieren, wie bestimmte Bereiche genutzt werden sollen.
An der Erasmus Universität Rotterdam stolpert man regelrecht über das Leitsystem, welches anzeigt, wo sich die verschiedenen Bereiche in der Bibliothek befinden: Das Leitsystem wurde konsequent auf dem Fußboden angebracht und weist so den Weg durch die Bibliothek.
Alle weiteren Beschriftungen wurden direkt an den jeweiligen Bereichen (Regale etc.) angebracht und beschreiben deren Funktion bzw. Nutzung.
In der öffentlichen Stadtbibliothek „DOK Delft“ verzichtet man auf die Schrift; Bücher können aufgrund von Symbolen gefunden werden und die Fachgebiete werden durch Farben unterschieden.
In einer Bibliothek außerhalb des offiziellen Besichtigungsprogramms, der Public Library Rotterdam, wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass dieser Raum ein „Rrruhiger Raum“ (=Ssstilteruimte) ist.
Raumauffassung und -gestaltung
Neue Raumauffassungen in Bibliotheken konnten auf der Exkursion in unterschiedlichen Ausprägungen erlebt werden. Diese reichten von klassischen Zonierungen über Raum-in-Raum-Konzepte bis hin zu ineinander verschachtelten, multifacettierten Räumen. Insbesondere in den Öffentlichen Bibliotheken werden immer wieder Treppen bzw. Sitzstufen als Ebenen überwindendes, Räume verbindendes, aber auch als eigenständiges raumprägendes Element oder eigener Raum eingesetzt.
Im Falle der TU Delft setzt sich schon die Architektur der Bibliothek selbst intensiv mit dem Verhältnis von Innenraum und Außenraum auseinander. Vom Campus kommend erscheint die Bibliothek als grüner Hügel in der Landschaft, der von einem in der oberen Hälfte durchbrochenen Kegel gekrönt wird. Im direkten Kontrast zum gegenüberliegenden, massiven und brutalistischen Auditorium der Universität verschwimmt das – im Sommer als Liegewiese genutzte – begehbare Dach so mit dem Campus. Erst auf der zur Stadt gelegenen Rückseite des Gebäudes erscheint es als die Stahl- und Glaskonstruktion, als die man es auch von Innen wahrnimmt.
In der inneren Aufteilung war man in Konzeption und Planung des 1997 eröffneten Gebäudes noch ganz einer klassischen Zonierung verhaftet, was die Bibliothek in der Folgezeit aufgrund der sich verändernden Arbeitskultur in Bibliotheken vor große Herausforderungen stellte. Nicht nur in der großen Halle vor der Bücherwand, sondern auch auf den Galerien des Lichtkegels mit ihren Einzelarbeitsplätzen war es viel zu laut, und die Bibliothek verfügte über sehr wenige Gruppenarbeitsräume. Im Rahmen eines mit dem Architekturbüro mecanoo gemeinsam geplanten Umbaus konnten ehemalige Büroräume der Bibliothek als neue Gruppenarbeitsräume erschlossen werden. Um diesen architektonisch eher gleichförmigen Räumen Identität und Atmosphäre zu verleihen, bediente man sich thematischer Unterscheidungen und gestaltete sie als Themenräume, die in Wandgestaltung und Einrichtung atmosphärisch Länder oder Biographien bekannter Persönlichkeiten aufrufen.
Eine besondere Herausforderung stellt nach wie vor die große Halle vor der Bücherwand dar, da diese in sich kaum gegliedert und durch den in die Halle hineinragenden Lichtkegel, den darunterliegenden zentralen Servicebereich und das Regal selbst dominiert ist. Im Rahmen des Umbaus wurden hier viele kleinteilige Lösungen unter Einsatz von heute typischen Einrichtungselementen, kombiniert mit Vintage-Möbeln, gewählt.
Ein anderer Umgang mit dem Raum wird in der UB der Erasmus-Universität in Rotterdam verwirklicht. Wie beschrieben, wurden im Zuge der Generalsanierung klassische raumgliedernde Elemente wie Glaswände und hohe Regale abgeschafft, und so lassen sich die drei Ebenen der Bibliothek jeweils sehr gut überblicken. Durch die überdachten Atrien erscheint die Bibliothek stellenweise nur noch als ein Raum, in dessen Zentrum sich der zwei Geschosse hohe, zentrale Arbeitsbereich mit seinen zeitgenössischen künstlerischen Wandgestaltungen befindet.
Setzt man hier insgesamt auf eine radikale Gestaltung nach dem Prinzip des Open Space, so bildet das Rotterdamsch Leeskabinet in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme. Diese Kulturinstitution, die ihre Ursprünge in einer bürgerschaftlichen Stiftung des 19. Jahrhunderts hat und vor allem Werke aus den Bereichen Kunst, Geschichte und Philosophie sammelt, befindet sich seit dessen Eröffnung 1971 im Gebäude der Universitätsbibliothek und wurde mit der Generalsanierung als Raum-in-Raum-Konzept neu inszeniert. Als zweigeschossiger Einbau mit modernen Holzvertäfelungen, Möbelklassikern des 20. Jahrhunderts und einer goldenen Lichtdecke wirkt es weniger wie eine Zeitkapsel, sondern vielmehr wie ein ruhender Pol in den sehr offenen und weiten Räumen der Universitätsbibliothek.
Auch die Universitätsbibliothek Leiden hat eine Generalsanierung hinter sich, dabei aber viel von ihrem ursprünglichen Charakter behalten. Hier dienen die überdachten Atrien zugleich als Kreuzungspunkte der Verkehrswege innerhalb der Bibliothek, der vertikalen Erschließung und als weite Räume, die Licht ins Innere des Gebäudes leiten. Zu den einzelnen Arbeitsbereichen, die auch nach der Sanierung noch als klassische durchmischte Lesebereiche gestaltet sind, sind die Atrien allerdings durch Wände aus Glasbausteinen oder Glaswände abgetrennt.
Die überkommene Zonierung wurde nur an wenigen Stellen aufgebrochen, etwa im Bereich der Buchausleihe, die mit einer großen Anzahl an Abholfächern organisiert ist, und bei der ein Zeitschriftenregal als raumgestaltendes Element eingesetzt wurde, um einen intimeren Lesebereich zu schaffen. Wie auch an anderen Stellen im Haus wird hier viel mit der Einrichtung gearbeitet, um teilweise im kleinsten Maßstab neue Raumeindrücke zu schaffen. Eine Ausnahme bildet die als Teilaufstockung des Bestandsgebäudes errichtete Asian Library, die einen in sich geschlossenen Raumkomplex quasi als Penthouse bildet.
Bei den besuchten Öffentlichen Bibliotheken handelte es sich nicht um Umbauten bzw. Sanierungen von Bibliotheken, sondern um Umnutzungen bestehender Gebäude bzw. um einen Neubau. Daher und aufgrund anderer Nutzungsszenarien ist man auch in Bezug auf die räumliche Gestaltung zu anderen Lösungen gekommen. Auffällig sind insbesondere die bereits angesprochene Nutzung von Treppen bzw. Sitztreppen und die Gestaltung der Räume mit Hilfe von Kulissen und Requisiten, etwa Vintage-Möbeln bzw. Teilen davon.
Die Architektur des beschriebenen „Bücherberges“ in Spijkenisse verlangt besondere Lösungen hinsichtlich der Erschließung zusätzlicher Räume, insbesondere solcher für Programmarbeit. So befinden sich nicht nur die Aufzüge im Inneren der Pyramide aus Bücherregalen, sondern etwa auch ein umweltpädagogischer Themenraum, in dem mit Schulklassen gearbeitet wird, und ein Vortragsraum, der auch als Kino nutzbar ist. Um den Gesamteindruck nicht zu stören, befinden sich die Zugänge mitten in den Regalen, die sich als Türen nach Innen öffnen lassen.
Wird in Spijkenisse die räumliche Gesamtgestaltung der Bibliothek in der Inszenierung der Bestände quasi zu ihrer eigenen, allerdings sehr unflexiblen, Kulisse, so sind im DOK Delft die auf Rollen beweglichen Regale kulissenhaft gestaltet, teils mit einer Häusersilhouette, teils – in der Kinderbibliothek – eher märchenhaft, so dass sie bei Bedarf tatsächlich als Kulissen wirken und, ineinander und gegeneinander verschoben, neue Raumeindrücke zwischen Intimität und Präsentationsfläche schaffen können.
Im sehr großen Raumvolumen der ehemaligen Lokomotivenhalle in Tilburg mussten die Architekt*innen ganz anders mit der Gestaltung umgehen. Die riesige Halle, die hier sehr viele Möglichkeiten eröffnet, wirkt auf ihre Art aber auch beschränkend, was insbesondere dort zum Tragen kommt, wo das Raum-in-Raum- oder in diesem Falle eher Haus-in-Haus-Konzept nicht greift: etwa im Eingangsbereich, wo ein enormer, auf einem Eisenbahnfahrgestell ruhender Tisch einen Anziehungspunkt darstellt, der in einer Gesamtübersicht des Raumes aber trotz seiner Größe eher verloren wirkt. Die von einem speziellen Gestell herabhängenden textilen Vorhänge erlauben theoretisch eine Abtrennung dieses Bereichs und damit einen etwas intimeren Charakter.
Beeindruckt die LocHal einerseits durch ihre vielfältigen räumlichen Möglichkeiten, bleiben andererseits doch auch Leerstellen zurück, die – insbesondere in der kalten Jahreszeit – wohl nur schwer zu füllen sind. Wie auch im DOK Delft ist aber die hinter dem Eingangsbereich gelegene Sitztreppe zugleich als Übergang und auch Kommunikations- und Begegnungsort gedacht. Diese Idee scheint in der LocHal zumindest weitgehend aufzugehen.
Bei allen Gegensätzen und der Vielfalt räumlicher Lösungen, die die Exkursion prägten, waren doch einige Trends erkennbar, die für die weitere bauliche Entwicklung von Bibliotheken auch in Deutschland beobachtet und vielleicht auch kritisch hinterfragt werden sollten. Zunächst fällt bei den Wissenschaftlichen Bibliotheken auf, dass, abgesehen vom Einsatz immer sehr ähnlicher Möblierungsideen für kommunikative Bereiche, die räumlichen Varianten eher eingeschränkt sind. Dies mag im Falle der besuchten Gebäude auch der Tatsache geschuldet sein, dass bei ihrer Errichtung jeweils noch andere Vorstellung vom Lernen und Arbeiten in Hochschulbibliotheken herrschten, die Modernisierungen und die sie begleitenden – oft die Beteiligung Studierender betonenden – Prozesse haben aber von außen betrachtet keine deutlich neuen Erkenntnisse hervorgebracht.
Im Falle der Öffentlichen Bibliotheken beherrscht die Inszenierung von Bibliothek, Begegnung und Identität die Gestaltung der Räume bis hin zu den Gebäuden und der Gliederung der Innenräume. Wesentliche Elemente sind hierbei die beschriebenen Sitztreppen, aber auch kulissenartig verwendete raumbildende Elemente, die zugleich Identität schaffen und Flexibilität ermöglichen.
Ergänzend zu den Bibliotheksbesuchen hatte die Baukommission noch ein Rahmenprogramm in Rotterdam organisiert, zu dem auch eine Hafenrundfahrt zum Thema „Stadtentwicklung und Architektur“ in der niederländischen Metropole gehörte. Und auch wenn das nicht zum offiziellen Programm gehörte, ließen sich viele Kolleg*innen einen Besuch der ebenfalls kürzlich umgebauten Stadtbibliothek nicht entgehen. Der kollegiale Austausch, auch über Ländergrenzen hinweg, die gemeinsame Besichtigung und Besprechung von Bibliotheken sowie eine anschließende Auswertung haben sowohl den Mitgliedern der Baukommission als auch den teilnehmenden Kolleg*innen viele neue Eindrücke und Erkenntnisse ermöglicht. Exkursionen, vor allem solche mit gezielten Fragestellungen, wirken damit zugleich als Fortbildung und Austausch unter den mit Bauthemen befassten Kolleg*innen und sollten – nach Ende der Pandemie – weiterhin regelmäßig durch die Baukommission organisiert werden.
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1 <https://www.bibliotheksverband.de/fachgruppen/kommissionen/baukommission.html> Ulrike Brunenberg-Piel, Olaf Eigenbrodt, Susanne Kandler (Vorsitzende), Oliver Kohl-Frey, Prof. Dr. Michael Mönnich, Dr. Alice Rabeler.