Am 19. Juli 2021 fand eine halbtägige digitale Fortbildungsveranstaltung für Fachreferent*innen der Geisteswissenschaften statt, an der über 80 Personen teilnahmen. Die Fortbildungsveranstaltung wurde von der VDB-Kommission für Fachreferatsarbeit organisiert. Die Veranstaltung war die erste dieser Art und gründete auf der Prämisse, dass sich das Berufsbild von Fachreferent*innen vom Bestandsaufbau hin zur Unterstützung des gesamten Forschungskreislaufs in den letzten Jahren stark gewandelt hat und sich auch weiterhin dynamisch fortentwickelt. Dies soll sich in Zukunft auch in neuen Themen und Formaten für Fortbildungsveranstaltungen spiegeln. In drei Vorträgen wurden daher Potentiale und Perspektiven der Zusammenarbeit zwischen digitalen Geisteswissenschaftler*innen und Fachreferent*innen ausgelotet und Desiderate ausgemacht. Es galt herauszufinden, welche Services wissenschaftliche Bibliotheken für die Digital Humanities anbieten können und welche Rolle den Fachreferent*innen dabei zukommt.
Im ersten Beitrag ging José Calvo Tello der Frage nach, wie Digital Humanities und Bibliotheken voneinander profitieren können. Der Referent stieg mit einer Definition von Digital Humanities in seinen Vortrag ein. Darunter versteht er im Anschluss an Thaller „die Summe aller Versuche, die Informationstechniken auf den Gegenstandsbereich der Geisteswissenschaften anzuwenden“.1 Seiner Ansicht nach haben die Digital Humanities in Deutschland eine große Bedeutung, sie wurden sogar im letzten Koalitionsvertrag der Bundesregierung erwähnt. Am Beispiel der SUB Göttingen stellte Calvo Tello zentrale (Service-)Bereiche vor, in denen Digital Humanities eine wichtige Rolle spielen. Dazu gehören z.B. Angebote im Bereich digitaler Editionen sowie Initiativen wie die eResearch Alliance, die Beratung, Schulung und Networking anbietet, und die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI). Anschließend ging er der Frage nach, wie die Digital Humanities von Bibliotheken profitieren können. Die Antwort gab er am Beispiel von Katalogdaten, die in den Digital Humanities zur Definition eines Forschungsobjekts oder als Forschungsobjekt selbst dienen können. Schließlich stellte Calvo Tello die Frage, wie die Fachreferate von Digital Humanities-Ansätzen profitieren können. Er zeigte einige Beispiele aus der Erwerbung und Sacherschließung, für die mit Tools aus den Digital Humanities Arbeitserleichterungen geschaffen werden konnten, z.B. bei der Vergabe der Göttinger Online-Klassifikation. Abschließend stellte er einige Online-Tools und Programme vor, mit denen sich Bibliothekar*innen in den Digital Humanities fortbilden können (z.B. Programming Historian, DARIAH-Campus, Library Carpentry und Code4Lib). Resümierend hielt er fest, dass Digital Humanities und Bibliotheken voneinander profitieren können, indem erstere Daten von den Bibliotheken erhalten und letztere die (Programmier-)Erfahrungen, Tools und Dokumentationen aus den Digital Humanities nutzen.
Im zweiten Vortrag stellte Lisa Landes das Deutsche Zeitungsportal vor, das im Herbst 2021 freigeschaltet werden soll2, und führte aus, inwiefern dieses einen neuen Zugang zu historischen Zeitungen (auch) für die Digital Humanities bietet. Landes berichtete, dass das Zeitungsportal von vier Projektpartnern (Deutsche Nationalbibliothek, FIZ Karlsruhe, SLUB Dresden, Staatsbibliothek zu Berlin) entwickelt und von der DFG gefördert wird. Das Zeitungsportal wird von der Deutschen Digitalen Bibliothek (DDB) betrieben und ermöglicht den Zugang zu den digitalisierten historischen Zeitungen aus Deutschland. Das Portal bietet vier Kernfunktionalitäten: eine übergreifende Volltextsuche in den digitalisierten Zeitungsbeständen, Einstiegspunkte über einen Kalender, Orte und Zeitungstitel, einen integrierten Viewer und die Möglichkeit der persistenten Referenzierung. Derzeit enthält das Portal ca. 600.000 Zeitungsausgaben mit ca. 4,5 Millionen Seiten. Das Projekt wird von einer wissenschaftlichen Begleitgruppe unterstützt. Ergänzend wurde eine Umfrage durchgeführt, um Nutzungsszenarien zu ermitteln. Im zweiten Teil des Vortrags stellte die Referentin verschiedene Use Cases aus den Digital Humanities vor. Sie erklärte, dass Fragestellungen, die auf Close Reading-Ansätzen beruhen – womit die sorgfältige Lektüre und genaue Interpretation einer Textpassage gemeint ist –, innerhalb des Portals beantwortet werden können. Solche hingegen, die auf Distant Reading fußen, also auf der Anwendung automatischer Verfahren zur Verarbeitung großer Textmengen, können auf eine standardisierte Schnittstelle zurückgreifen. Abschließend erläuterte Landes, welche Themen in der zweiten Förderphase im Zentrum stehen werden. So soll z.B. die Anzahl der Datenpartner*innen erhöht und die Qualität der OCR verbessert werden.
Der letzte Vortrag der Veranstaltung widmete sich dem Themenkomplex digitale Edition und TextGrid. Den Auftakt machte Andrea Rapp, die einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte und den Aufbau von TextGrid gab. TextGrid, seit 2012 in der Betriebsphase, besteht aus zwei Komponenten: dem TextGrid Laboratory und dem TextGrid Repository. Das TextGrid Laboratory hält verschiedene Tools für Forschende bereit, beim TextGrid Repository handelt es sich um ein fachwissenschaftliches Langzeitarchiv. Als virtuelle Forschungsumgebung versteht sich TextGrid als gemeinsamer Forschungsraum, der den gesamten Forschungsprozess von der Datenerhebung und -bearbeitung bis zur Publikation der Forschungsergebnisse unterstützt.
Daran anknüpfend bot Philipp Hegel im zweiten Teil des Vortrags eine Übersicht zur Auszeichnungssprache XML als Grundlage für die Erstellung digitaler Editionen. Dabei ging er insbesondere auf die Text Encoding Initiative (TEI) ein, deren Guidelines als Standard für die Auszeichnung geisteswissenschaftlicher Texte gelten.
Mit einem Blick auf verschiedene Beispielprojekte, die mit dem Einsatz von TextGrid entstanden sind, beschloss Christoph Kudella den Vortrag. Die Heterogenität der Projekte, darunter Fontanes Notizbücher3 und die Plattform Maps of God des Ilanot-Projekts4, zeigt damit auch die Bandbreite an digitalen Editionen, die sich mit TextGrid umsetzen lassen.
Die Digital Humanities sind längst nicht mehr nur ein Thema für die Forschung, sondern auch für Infrastruktureinrichtungen – das machte diese Fortbildungsveranstaltung deutlich. Viele Bibliotheken haben das Potential der Digital Humanities erkannt und bieten entsprechende Services zur Unterstützung von Forschung und Lehre an. Dabei kommt den Fachreferent*innen eine neue Rolle zu: Als „Liaison Librarians“ nutzen sie ihre Kontakte zu den Forschenden, um Bedarfe zu ermitteln und passgenaue Angebote zu etablieren.
Dass die Fortbildung so gut besucht war, ist einerseits sicherlich dem Onlineformat geschuldet, das einen niedrigschwelligen Zugang bietet. Andererseits zeigen sich daran auch der hohe Bedarf und das Interesse der Kolleg*innen aus dem Fachreferat, die Möglichkeiten der Digital Humanities für die eigene Arbeit auszuloten.
Damit erweist sich die Fortbildung „Wissenschaftliche Bibliotheken und Fachreferat“ als guter Auftakt für weitere Folgeveranstaltungen, die disziplinübergreifend die Entwicklung von Fachreferent*innen als Unterstützer*innen der Wissenschaft in den Blick nehmen.
1 Thaller, Manfred: Digital Humanities als Wissenschaft, in: Jannidis, Fotis; Kohle, Hubertus; Rehbein, Malte (Hg.): Digital Humanities. Eine Einführung, Stuttgart 2017, S. 13–18, hier S. 13.
2 Das Zeitungsportal ist am 28. Oktober 2021 online gegangen und findet sich unter <https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/newspaper>, Stand: 2.11.2021
3 Fontanes Notizbücher, <https://fontane-nb.dariah.eu>, Stand: 06.10.2021.
4 Maps of God des Ilanot-Projekts, <http://ilanot.org>, Stand: 06.10.2021.