Partizipation – online (un)möglich?

Die Open-Access-Tage 2021

Am Ende der ersten virtuellen Open-Access-Tage (OAT) 2020 stand die Vorfreude auf eine Präsenzkonferenz in Bern im September 2021. Zwischen steigenden und fallenden Corona-Fallzahlen mussten sich die Berner Kolleg*innen um Dirk Verdicchio gemeinsam mit dem Programmkomitee im Juni 2021, als die Inhalte der Konferenz bereits feststanden, für eine erneute Ausrichtung der Tagung im Online-Format entscheiden. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt open-access.network erklärte sich dann bereit, die Organisation der Online-Tagung 2021 zu übernehmen. „Bern war als Veranstaltungsort für die Open-Access-Tage schon einige Jahre im Gespräch und wir wollten die Chance erhalten, in Bern 2022 zu einer Tagung vor Ort zusammenzukommen, aber auch 2021 eine Online-Tagung anbieten. Die Open-Access-Tage ausfallen zu lassen, kam nicht infrage! Daher haben wir gemeinsam im Projekt entschieden, die Organisation zu übernehmen“, erklärte Anja Oberländer, die das Projekt open-access.network koordiniert und gleichzeitig seit vielen Jahren das Programmkomitee der Open-Access-Tage leitet. Im Jahr 2007 war sie schon Initiatorin der ersten Open-Access-Tage. So bestand das Ortskomitee in diesem Jahr aus Projektmitarbeiter*innen der sechs Partnerinstitutionen: des Kommunikations-, Informations-, Medienzentrums (KIM) der Universität Konstanz, der Technischen Informationsbibliothek (TIB), der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen, des Helmholtz Open Science Office, der Universitätsbibliothek Bielefeld und des Open-Access-Büros Berlin (OABB). Das Motto der diesjährigen Konferenz – “Partizipation” – spiegelte sich also bereits in dem kooperativen Ansatz während der Vorbereitung wider.

Sechs Einrichtungen – eine Veranstaltung

Die Organisation der Online-Konferenz stellte nicht nur aufgrund der kurzfristigen Übernahme, sondern auch durch die parallele Überarbeitung der Website open-access.net und deren Relaunch als open-access.network im September eine organisatorische Herausforderung für das Projekt dar.1

Die aus den rein online realisierten Open-Access-Tagen 2020 gewonnenen Erkenntnisse der Bibliotheken von Universität und Fachhochschule Bielefeld als vorangegangene Organisatorinnen halfen, anstehende Aufgaben und mögliche Herausforderungen zu identifizieren und diesen zu begegnen. Eine ausführliche Dokumentation konnte nachgenutzt werden und die Erfahrungswerte der ehemaligen Ausrichter*innen flossen mit in die Vorbereitung ein.

Die Mehrheit der Teilnehmenden konnte während der Pandemie Erfahrungen mit verschiedenen Videokonferenz-Tools sammeln. Um auch technisch Partizipation, Teilhabe und Beteiligung besser zu ermöglichen, entschied sich open-access-network für eine Durchführung der Konferenztage mit Hilfe von Zoom und Gather2. Während ersteres beispielsweise die Aufzeichnung von Vorträgen und somit eine zeitlich ungebundene Nutzung der Inhalte ermöglicht, unterstützt letzteres besonders sozial-interaktive Momente gut.

Gather ermöglicht es den Teilnehmenden, sich in Form eines Avatars frei in einem vorab angelegten virtuellen Raum fortzubewegen. Sobald man sich anderen nähert, aktivieren sich Kamera und Mikrofon, wenn man sie zuvor freigegeben hat. So entstehen – wie bei Veranstaltungen in Präsenz – Gelegenheiten zum Austausch, auch zufälliger Natur.

Partizipation durch Open Access?

Nach der Begrüßung durch Anja Oberländer eröffnete Laura Czerniewicz (University of Cape Town, Südafrika) mit der Keynote „Open access and social justice“ die Tagung.3 In ihrem Vortrag blickte sie zunächst zurück auf die Anfänge der Open-Access-Bewegung und betonte dabei das Streben nach sozialer Gerechtigkeit als ein wichtiges auslösendes Moment. Sie führte aus, dass die vorherrschenden Open-Access-Geschäftsmodelle große Verlage und die traditionelle Wissenshegemonie begünstigten. Um mehr Teilhabe und Gerechtigkeit zu erreichen, müsse darauf geachtet werden, wer die Richtung vorgibt, die die Wissenschaftskommunikation weltweit einschlägt.

Insgesamt war das Vortragsprogramm mit einer Postersession, zwei Keynotes, fünf Workshops und zehn Vortragssessions etwas schmaler als im Vorjahr, um auch als Reaktion auf die Wünsche der Teilnehmenden mehr Raum für die verschiedenen Formate für Begegnung und Austausch zu bieten.4 Gleichzeitig feierte ein neues Format Premiere: die englischsprachige Frage-und-Antwort-Session mit Peter Suber, einem Vorreiter der Open-Access-Bewegung. Für dieses anderthalbstündige Format konnten alle Interessierten nicht nur vorab auf verschiedenen Kanälen (Twitter, Mail, Miroboard) Fragen einreichen,5 sondern hatten auch die Möglichkeit, während der Session nachzufragen und zu kommentieren. Ein Team von Moderatorinnen sortierte sowohl die vorab eingereichten als auch die spontan über den Chat eingehenden Fragen und richtete sie an Peter Suber. Die Themen reichten von den Anfängen der Bewegung über Transformationsverträge bis hin zu den Vorzügen von Green Open Access. Zwischendurch konnten die Teilnehmenden ihre Einschätzung in einer Kurzumfrage kundtun:

Das Format nutzte die Vorteile der Online-Kommunikation ideal aus und bot somit vielen Teilnehmenden die Gelegenheit zur Partizipation.

Eine weitere Neuerung war die Umsetzung der Postersession, die dieses Mal in Gather stattfand: Mit diesem Tool ließen sich die Bedingungen einer Präsenz-Postersession virtuell gut nachempfinden.6 In einem eigenen Posterbereich innerhalb des virtuellen Raumes waren alle Beiträge von Beginn an hinterlegt. Während der Postersession standen die Urheber*innen bei ihren Postern für Fragen und zum Austausch bereit. Die Bereiche um die einzelnen Poster herum waren so konfiguriert, dass sich dort jeweils eine kleine Gruppe ungestört unterhalten konnte.

Die Bandbreite der Workshops und Vortragssessions reichte von Berichten der Forschungsförderer über Sessions für Einsteiger*innen und Erfahrungsaustausche bis hin zu Community-Building und alternativen Finanzierungsmodellen. Damit stellte sich auch bei diesen OAT die Vielfalt an Themen und Akteur*innen im Bereich Open Access dar und machte so deutlich, wie umfangreich und vielfältig das Themengebiet ist.

Die Klammer zur ersten Keynote schloss Margo Bargheer (SUB Göttingen) in ihrem Vortrag “Partizipation durch Open Access – ein nur teilweise eingelöstes Versprechen”, der den letzten Konferenztag eröffnete. Sie stellte abermals Fragen zu Gerechtigkeit und Teilhabe im Feld Open Access und wies dabei auf das disruptive Potenzial von Technologien wie Open Journal Systems und gebührenfreien Open-Access-Finanzierungsmodellen hin.7

Partizipation durch Social Events

Das Tagungsprogramm wurde von einer Reihe sozialer Aktivitäten begleitet, um über den fachlichen Input hinaus einen intensiven Austausch und persönliche Begegnungen in einem interaktiven Setting zu ermöglichen.

So fand zwei Mal innerhalb der drei Konferenztage ein Speed-Dating statt. Dabei konnten die Teilnehmenden jeweils fünf Minuten mit einer Person sprechen, bevor die Gesprächspartner*innen reihum wechselten, sodass alle Teilnehmenden mehrere Einzelgespräche führen konnten.

Darüber hinaus wurden zusätzlich zu den einzelnen inhaltlich festgelegten Sessions „Thementische“ in Gather eingerichtet. Zu verschiedenen Zeiten konnten sich die Konferenzteilnehmenden dort spontan zu Aspekten austauschen, die sie persönlich im alltäglichen Umgang mit Open Access beschäftigen. Ganz nach dem Motto „Bring your own problem“ entstanden so praxisnahe Diskussionen in kleineren Runden, etwa zu den Themen Zweitveröffentlichung, Publikationsfonds oder Open-Access-Beratung.

Zudem bot Gather Gelegenheiten für kurze gemeinsame, interaktive Begegnungen, etwa morgens beim Warm-up oder in den Pausen. Auch ein Link zu einem Sportvideo war dort hinterlegt, das zur Bewegung im sonst physisch so starren Online-Kontext anregen sollte.

Wer tagsüber noch nicht genügend Zeit zum Austausch hatte, konnte sich bei den beiden Abendveranstaltungen zusätzlich in lockerer Atmosphäre mit anderen Mitgliedern der Community treffen: Am ersten Abend veranstaltete das Projekt open-access.network eine Relaunch-Party zur Veröffentlichung seiner neuen Website. In feierlicher Stimmung und nach einer kurzen offiziellen Ansprache durch Alexander Heußner als Vertreter des BMBF schaltete Projektleiterin Anja Oberländer das neue Portal frei. Im Anschluss gab es eine kleine Einführung in die Inhalte der Website und die Möglichkeit für direktes Feedback aus der Community. Später am Abend konnten die Konferenzteilnehmenden in kleinen Teams bei einem Quiz ihr Wissen zu Open Access testen. Am zweiten Konferenztag bestand das soziale Rahmenprogramm aus einem Spieleabend, für den ebenfalls Gather sowie verschiedene Online-Spiele eingesetzt wurden.

Einzelne Formate des sozialen Begleitprogramms wurden besonders gut angenommen, so z. B. das Speed-Dating am ersten Tag, bei dem viele Teilnehmende zu Beginn der Tagung die Gelegenheit ergriffen, mit anderen ins Gespräch zu kommen. Während die Thementische zunächst wenig genutzt wurden, fand dort am letzten Tag eine angeregte Diskussion mit rund 60 Personen zum Thema Kostenobergrenze für die Open-Access-Finanzierung statt, die aus einem Mailaustausch über die IPOA-Mailingliste entstanden war.8

Es zeigte sich also, dass die Möglichkeiten zum virtuellen Austausch eher dann genutzt wurden, wenn sie hinreichend beworben wurden bzw. an bereits laufende Diskussionen anknüpften. Insgesamt standen auf einem immer noch eng getakteten Tagungsprogramm viele Programmpunkte in Konkurrenz zueinander, und erfahrungsgemäß selektieren die Teilnehmenden bei Online-Konferenzen stärker und nehmen oft nur an einzelnen Vorträgen teil. Die Möglichkeiten von Gather wurden jedoch in der Veranstaltungsevaluation positiv erwähnt: “Gathertown ist zwar kein vollwertiger Ersatz für die Begegnung vor Ort, aber schon sehr gut.”9

Grenzen der Partizipation

Im Vorfeld ihrer Keynote auf den Open-Access-Tagen fragte Margo Bargheer ihre Follower*innen auf Twitter, was Partizipation für sie bedeute. Die Befragten hatten die Wahl: “andere teilhaben lassen”, “an etwas teilnehmen können” oder “etwas mit anderen teilen”. Gut zwei Drittel der Befragten gaben an, dass Partizipation für sie bedeute, andere Personen an etwas teilhaben zu lassen – d. h. eine inklusive Wirkung zu erzeugen.10 Für knapp 30 Prozent bedeutete es, etwas mit anderen zu teilen, und vier Prozent verstanden darunter, an etwas teilnehmen zu können.

Den Chancen zur größeren Partizipation, die eine Veranstaltung im Online-Format bietet, stehen jedoch einige Herausforderungen gegenüber. So befasste sich das Ortskomitee der Open-Access-Tage 2021 umfassend mit der Frage,11 wie das sogenannte Zoombombing verhindert werden könne.12 Die niedrigschwellige Teilnahme über die Videokonferenz-Werkzeuge Zoom und Gather sollte nicht durch die Sorge vor Angriffen von “Trollen”, also Personen, die beispielsweise beleidigende Kommentare in Chats hinterlassen, oder “Bots” – Softwarerobotern – eingeschränkt werden. Kurzfristige Platzierungen der Links auf der Website, klare Kommunikation und die Verwendung von Kurzlinks ermöglichten einen störungsfreien Ablauf der Konferenz. Diese wurden durch interne Schulungen zum Verhalten im Falle eines “Bombing” ergänzt.

Obwohl das Tool Gather sehr beliebt ist, da sich dort eine Konferenzatmosphäre am ehesten nachempfinden lässt, sollten datenschutzrechtliche Hinweise nicht außer Acht gelassen werden. Durch die Speicherung der Daten in den USA kann Gather die Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) nicht vollständig erfüllen. Daher war es wichtig, transparent darüber zu informieren, Schulungen anzubieten und die Nutzungsbedingungen des Videokonferenzprogramms bereitzustellen.

Nächstes Jahr mit noch mehr Partizipation?

Partizipation – Teilhaben, Teilnehmen, Beteiligtsein –, das konnten wir bei den Open-Access-Tagen 2021 in vielerlei Hinsicht möglich machen. Die Teilnehmenden begegneten den verschiedenen Tools, Formaten und Inhalten mit Interesse und Offenheit und pflegten eine rücksichtsvolle Diskussionskultur. Dank ihrer unterschiedlichen Hintergründe und Erfahrungsschätze brachten sie reflektierte Fragestellungen und Ansichten mit. Der erneuten Herausforderung, die Konferenz online auszurichten, konnten wir nicht nur dank der Erkenntnisse der letztjährigen Ausgabe, sondern auch auf Basis eines Erfahrungsschatzes aus Monaten voller Videokonferenzen und virtueller Teamfeiern begegnen. Die Partizipation von rund 60 Vortragenden und knapp 400 Teilnehmenden könnte ein Indiz dafür sein, dass wir unserem Anspruch, dem Motto gerecht zu werden, nahekommen konnten. Ein virtuelles Format ermöglicht es den Interessierten, ortsungebunden und spontan teilzunehmen und eröffnet so neue Möglichkeiten – gleichzeitig wird die Teilnahme flüchtiger. Wo sich schnell einmal eine Videokonferenz in den Terminkalender einschieben lässt, droht der Kalender auch immer voller zu werden und die Überlastung zuzunehmen, und eine Konferenz konkurriert mit immer mehr anderen Terminen und Verpflichtungen – im Online-Format umso mehr. Die Partizipation, hier im Sinne von “an etwas teilnehmen können”, findet somit in dem Moment ihre Grenzen, wo die Bildschirmmüdigkeit überwiegt.

Daher freuen wir uns, bei allen Vorteilen, die das Online-Format bietet, im nächsten Jahr auf ein persönliches Wiedersehen in Bern im September. Hoffentlich!

Linda Martin, Open-Access-Büro Berlin

Hannah Schneider, Universität Konstanz

Katharina Schulz, Technische Informationsbibliothek (TIB), Hannover

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5781

Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.

1 Das Portal open-access.network bietet aktualisierte Informationen und bündelt Vernetzungs- und Fortbildungsangebote. Online: <https://open-access.network/startseite>, Stand: 10.11.2021.

2 Gather, <https://gather.town>, Stand: 10.11.2021.

3 Czerniewicz, Laura: Open access and social justice. Online: <https://doi.org/10.5281/zenodo.5543440>, Stand: 10.11.2021.

4 Programm der Open-Access-Tage 2021. Online: <https://open-access-tage.de/open-access-tage-2021-online/programm-2021>, Stand: 10.11.2021.

5 Das Miroboard der Open-Access-Tage 2021 diente als Dokumentationsgrundlage. Online: <https://open-access-tage.de/fileadmin/ipoa/Open-Access-Tage/Open_Access_Tage_2021-MIRO-Export.pdf>, Stand: 10.11.2021.

6 Die ausgestellten Poster sind auch weiterhin auf Zenodo hinterlegt. Online: <https://zenodo.org/communities/oat21/search?page=1&size=20&type=poster>, Stand: 10.11.2021.

7 Bargheer, Margo: Partizipation durch Open Access — ein nur teilweise eingelöstes Versprechen. Online: <https://doi.org/10.5281/zenodo.5535609>, Stand: 10.11.2021.

8 Die IPOA-Mailingliste ist eine Mailingliste, über die sich Open-Access-Interessierte ihrerseits und andere über Open-Access-relevante Themen informieren können. Online: <https://lists.fu-berlin.de/listinfo/ipoa-forum>, Stand: 10.11.2021.

9 Die Evaluation der Veranstaltung wurde ebenfalls online erhoben, die Ergebnisse sind jedoch nicht öffentlich verfügbar.

10 Bargheer, Margo: Partizipation durch Open Access – ein nur teilweise eingelöstes Versprechen. Online: <https://doi.org/10.5281/zenodo.5535609>, Stand: 10.11.2021.

11 Das Ortskomitee bestand aus Vertreter*innen der sechs Projektpartner – des Kommunikations-, Informations-, Medienzentrums (KIM) der Universität Konstanz, des Open-Access-Büros Berlin (OABB) an der Freien Universität Berlin, des am Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ) angesiedelten Helmholtz Open Science Office, der Technischen Informationsbibliothek (TIB) in Hannover sowie der Bibliotheken der Universitäten Bielefeld und Göttingen (SUB).

12 Albers-Heinemann, Tobias: Keine Chance für Zoom-Bombing – So haben Sie Ihre Zoom-Konferenz unter Kontrolle, <https://youtu.be/GnYL2PXP0-g> Stand: 15.11.2021.