Aus der Deutschen Forschungsgemeinschaft
In seiner Herbstsitzung am 28./29. September 2021, die in einem hybriden Format stattgefunden hat, hat sich der Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme mit folgenden Themen befasst:
Fachinformationsdienste für die Wissenschaft
Entwicklung einer FID-Gesamtstruktur
Die Antragsrunde im Jahr 2021 war die erste im Programm „Fachinformationsdienste für die Wissenschaft“ (FID), in der die Beiträge der einzelnen FID zu einer im Aufbau befindlichen FID-Gesamtstruktur begutachtet und bewertet wurden. Ziel ist es, eine sich untereinander vernetzende und gemeinsam agierende Informationsinfrastruktur zu schaffen, zu der jedes FID aktiv seinen Beitrag leistet. Der AWBI hat in einer übergreifenden Betrachtung der Anträge festgestellt, dass die FID eine strukturell relevante Bedeutung für das Wissenschaftssystem erlangt haben, indem sie zum einen eng mit den jeweiligen Communities vernetzt sind, zum anderen durch ihre überregionale Bereitstellung von Informationsressourcen. Regional ausgerichtete FID sind zudem verstärkt in internationale Kontexte eingebunden. Während die fachliche Vernetzung schon gut etabliert ist, sieht der AWBI hinsichtlich der technologischen Kooperationen noch verstärkten Bedarf. Als Basis für den weiteren strukturbildenden Prozess zu Absprachen hinsichtlich technischer Systeme kann das FID-Community Wiki1, das im Rahmen des Projekts „Aufbau eines FID-Community-wikis. Gemeinsame Kartierung von Services und technischen Infrastrukturen im System der Fachinformationsdienste“ erarbeitet wurde, dienen. Dabei wird die grundlegende Problematik gesehen, dass – um den fachlichen Anforderungen eines FID gerecht werden zu können und aufgrund unterschiedlicher struktureller Voraussetzungen und strategischer Entscheidungen in den FID-Bibliotheken – eine Ausdifferenzierung stattfindet und eine Vielzahl unterschiedlicher technischer Systeme hervorbringt, die zudem in Konkurrenz zum Erwerb kommerzieller Lösungen stehen. Diese Entwicklungen stellen allerdings eine Herausforderung für das Gesamtsystem der wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland dar. Aufgabe der FID-Gesamtstruktur wird es sein, in diesem Prozess sowohl den Anforderungen einzelner FID gerecht zu werden als auch die Anschlussfähigkeit von Einzellösungen zu gewährleisten. Neben der Schaffung gemeinsamer technischer Standards und Schnittstellen sollte auch verstärkt auf die Nachnutzung bestehender technischer Infrastrukturen gesetzt werden, die ggf. weiterzuentwickeln sind.
Auch wenn der Grundsatz gilt, dass Aufgaben und Dienste, für die es eigene DFG-Förderangebote gibt, in den jeweiligen LIS-Programmen beantragt werden sollen, so hat der AWBI explizit darauf hingewiesen, dass weiterhin innovative Elemente im FID-System verortet bleiben sollen.
FID-Lenkungsgremium
Der AWBI hat sich zudem über den Stand der Entwicklung einer FID-Gesamtstruktur aus der Perspektive der FID von Vertreterinnen und Vertretern des FID-Lenkungsgremiums informiert. Auch von Seiten der FID wurde bestätigt, dass die Kooperationen auf einer sachlichen bzw. fachlichen Ebene weit vorangeschritten sind. Dagegen befindet sich der Prozess zu einer strategisch geplanten Gesamtstruktur noch in einer frühen Entwicklungsphase. In einem ersten Schritt wurden vier Themenfelder identifiziert, für die systemweite Maßnahmen konzipiert werden sollen. Es handelt sich dabei um die Bereiche „FID und Forschungsdaten“; „Clusterbildung/Kooperationsnetzwerke“; „Kommunikation nach innen und außen“; „Sacherschließung/Normdaten“. Der Austausch zwischen dem AWBI und dem FID-Lenkungsgremium soll kontinuierlich fortgeführt werden.
Digitalisierung und Erschließung
Rundgespräch zum Umgang mit urheberrechtlich geschütztem Material
Im Programm „Digitalisierung und Erschließung“ wird die Digitalisierung von Objekten gefördert, die direkt und uneingeschränkt im Open Access zur Verfügung gestellt werden können. Vonseiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besteht aber eine große Nachfrage an einer digitalen Bereitstellung auch von Materialien, die zum Beispiel aus datenschutz-, urheber- oder archivrechtlichen Gründen nicht im Open Access überregional angeboten werden können. Daher hatte der AWBI ein Rundgespräch zum Umgang mit urheberrechtlich geschützten Materialien angeregt, um diesem Bedarf Rechnung tragen zu können. Ziel des Rundgesprächs, das von der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden organisiert worden ist, war es – unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen – technische und organisatorische Lösungen für die Bereitstellung auch rechtlich geschützter Materialien in digitaler Form zu erörtern. An dem Rundgespräch haben Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Sparten teilgenommen, die sich mit der Thematik aus verschiedenen Perspektiven befassten. Der AWBI hat in seiner Sitzung den Bericht über das Rundgespräch2 diskutiert. Vier Themenfelder wurden mit verschiedenen Handlungsbedarfen identifiziert: 1. Rechtliche Rahmenbedingungen und Spielräume; 2. Verzeichnis für Rechteinformationen / Aktualisierung von Rechteinformationen; 3. Standardisierte Rechteauszeichnung; 4. Technische Maßnahmen / Präsentationssysteme. Auf der Grundlage des Berichts hat sich der AWBI dafür ausgesprochen, zunächst ein Koordinierungsprojekt zu fördern, in dem Eckpunkte und Bausteine einer Pilotphase zur Digitalisierung und Bereitstellung (noch) rechtebewehrter Objekte konkretisiert werden, um so einen strukturbildenden Prozess zu ermöglichen. Wesentlich wird es sein, bereits im Koordinierungsprojekt unterschiedliche Sparten und Objektgattungen zu berücksichtigen. Eine erste Information zur Beteiligung an einem Koordinierungsprojekt ist inzwischen erfolgt.3
Rundgespräche zur Zukunft nationalbibliographischer Verzeichnisse
Der AWBI hat sich zudem mit dem Bericht der Staatsbibliothek zu Berlin, der Bayerischen Staatsbibliothek München und der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel über die Rundgespräche zur Zukunft der nationalbibliographischen Verzeichnisse befasst. Ziel der Rundgespräche war es, bedarfsgerechte Lösungsstrategien zur Weiterführung und kontinuierlichen Anreicherung der nationalbibliographischen Verzeichnung sowie zum Ausbau der Quote der digitalisierten Titel zu erarbeiten. Das erste Rundgespräch am 1. und 2. Juni 2021 richtete sich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit dem Fokus auf „Relevanz und Perspektiven aus der Forschung / für die Forschung“, das zweite Rundgespräch am 10. und 11. Juni 2021 fand mit Vertreterinnen und Vertretern bestandshaltender Einrichtungen sowie einschlägiger Gremien und Interessenverbände statt unter dem Thema „Modelle aus der Praxis / für die Praxis – Bedarfsermittlung und Lösungsstrategien“. Im Vorfeld war vermutet worden, dass sich insbesondere in kleineren Einrichtungen für die Forschung noch relevante Bestände für die VDs befinden, die auch einen nennenswerten Anteil an Unika enthalten. Im Bericht wurde nun dargelegt, dass diese Annahme zutrifft und es sich bei durchschnittlich 10 % der VD-relevanten Bestände der noch nicht an den VDs beteiligten Einrichtungen um Unika handelt. Erfreulich aus Sicht des AWBI ist es, dass im Rahmen der Rundgespräche die Bedarfe der Wissenschaft gut rückgekoppelt wurden. Die im Ergebnis vorgeschlagenen möglichen Fördermaßnahmen zur Weiterführung der VDs wurden vom AWBI befürwortet. Konkret handelt es sich dabei um folgende Maßnahmen, die alle durch das Programm „Digitalisierung und Erschließung“ abgedeckt werden: 1. Sammlungserfassung (Integration forschungsrelevanter Sammlungen / Streubestände); 2. Sparten- und gattungsspezifische Erfassung (Bildung von Korpora anhand einschlägiger Bibliographien bzw. Forschungsdaten oder vorliegender Erschließungsdaten); 3. Retrospektive Digitalisierung VD 16 / VD 17 (vom Masterplan zur Digitalisierung des VD 17 nicht erfasste Titel sowie VD 16-Titel ohne Digitalisat); 4. Volltexttransformation (nach Abschluss der Implementierung von OCR-D, zunächst Pilotprojekte zur Aufwandsabschätzung, Definition von Projektkorpora aus noch nicht oder unzureichend prozessierten VD-Titeln).
Vergleichende Bewertung von Anträgen im Programm „Digitalisierung und Erschließung“
Anträge im Programm „Digitalisierung und Erschließung“ werden seit der Öffnung des Programms für alle wissenschaftlich relevanten Objekte von Mitgliedern des AWBI im Rahmen von mündlichen Sitzungen vergleichend bewertet. Dies geschieht vor allem mit Blick auf die Konturierung des Programms. Dabei wurde auf folgende Punkte hingewiesen:
- Kooperationen zwischen etablierten Informationsinfrastruktureinrichtungen und kleineren bestandhaltenden Einrichtungen sind ein wesentlicher Faktor, der zum Erfolg von Anträgen und Vorhaben beiträgt.
- Es kann keinen Anspruch geben, jedes Exemplar eines Werks mit DFG-Mitteln zu digitalisieren. Vielmehr sind die Communities dazu aufgerufen, Abstimmungsprozesse zur Frage herbeizuführen, welche Exemplare mit Priorität zu digitalisieren sind. Für weitere Exemplare wird eine Erschließung als ausreichend angesehen.
- Das Potenzial der Digitalisierung sollte, wo inhaltlich sinnvoll, ausgeschöpft werden. Dies betrifft z.B. digitale Editionen.
- Im Zusammenhang der Objektdigitalisierung ergibt sich derzeit (noch) häufig eine Hersteller- bzw. Geräteabhängigkeit. Es ist zentral, dass Nachnutzbarkeit und Reproduzierbarkeit gewährleistet sind und dazu die Geräteeinstellungen in den Metadaten dokumentiert werden.
Open-Access-Publikationskosten
Das Programm „Open-Access-Publikationskosten“ ist im Jahr 2021 neu eingerichtet worden. In der ersten Antragsrunde wurden 116 eingereichte Anträge in sechs Sitzungen begutachtet, von denen 75 zur Bewilligung vorgeschlagen wurden. Aufgrund einer starken Überbuchung des Programms waren einheitliche Kürzungen erforderlich. Die vom AWBI festgelegten Kürzungsmechanismen für zur Bewilligung vorgeschlagene Anträge im Programm in den Entscheidungsjahren 2021, 2022 und 2023 sind veröffentlicht.4 Wichtig aus Sicht des AWBI ist, dass sich auch künftig kleinere Einrichtungen von dem Programm angesprochen fühlen. Daher wurde explizit darauf hingewiesen, dass es nicht erforderlich ist, neue Strukturen aufzubauen, wenn die Ziele der Förderung auch im bestehenden Rahmen erreicht werden können.
Nach Auswertung der ersten Antragsrunde hat der AWBI angekündigt, Anpassungen im Merkblatt zum Programm „Open-Access-Publikationskosten“, vor allem hinsichtlich der Darstellung des bisherigen Publikationsaufkommens, vorzunehmen. Darüber hinaus hat der AWBI strategische Aspekte identifiziert, die in den kommenden Jahren Berücksichtigung finden sollen (Finanzierung von Büchern und Sammelbänden; Heterogenität der Einrichtungen im Segment der Hochschulen; integriertes Informationsbudget).
Datentracking in der Wissenschaft
Das vom AWBI im Mai 2021 veröffentlichte Informationspapier „Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage“5 hat sowohl national als auch international viel Aufmerksamkeit und Resonanz hervorgerufen. In den Gesprächen mit Verlagen, die nach der Veröffentlichung des Informationspapiers durchgeführt wurden und an denen AWBI-Mitglieder beteiligt waren, ist noch nicht hinreichend deutlich geworden, welche Daten wie verwendet werden. Nach Ansicht des AWBI muss unterschieden werden können zwischen Daten, die öffentlich einsehbar sind, zwischen aggregierten Daten sowie weiteren über Tracking erhobenen Daten, die bei ihrer Entstehung personalisiert oder institutionenbasiert sind. Ziel muss es sein, dass sowohl bei als auch nach der Nutzung von Informationsangeboten der Verlage keine Verarbeitung von personen- oder institutionenbezogenen Daten stattfindet. Daher hat sich der AWBI dafür ausgesprochen, den Austausch mit den Verlagen in Form eines Dialogforums fortzuführen. Neben der Klärung der offenen Punkte ist ein weiteres Ziel, Compliance-Richtlinien zu vereinbaren. Da Datentracking nur eine Ebene des Verhältnisses zwischen Anbietern und wissenschaftlichen Einrichtungen darstellt, gilt es auch die darüber hinausgehenden Zusammenhänge herauszuarbeiten und zu betrachten (z.B. Entwicklung von Zeitschriftenportfolios, von Forschungsbereichen etc.).
Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 4.0 International.
1 FID-Community-Wiki: <https://wikis.sub.uni-hamburg.de/webis/index.php/FID-Community-Wiki>, Stand: 25.01.2022.
2 Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden: DFG-Rundgespräch zum Umgang mit urheberrechtlich geschütztem Material am 28. April 2021. Bericht für die DFG, <https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/bericht_dfg_rundgespraech_rechtebewehrte_objekte.pdf>, Stand: 25.01.2022.
3 DFG: Ausschreibung für ein Koordinierungsprojekt zur Vorbereitung einer Pilotphase zur Digitalisierung und Bereitstellung rechtebewehrter Objekte (Termin: 18.03.2022), 7. Dezember 2021, <https://www.dfg.de/foerderung/info_wissenschaft/2021/info_wissenschaft_21_108/index.html>, Stand: 25.01.2022.
4 DFG: Förderprogramm „Open-Access-Publikationskosten“. Informationen zum Kürzungsmechanismus, <https://www.dfg.de/foerderung/programme/infrastruktur/lis/lis_foerderangebote/open_access_publikationskosten/index.html>, Stand: 25.01.2022.
5 DFG: Datentracking in der Wissenschaft: Aggregation und Verwendung bzw. Verkauf von Nutzungsdaten durch Wissenschaftsverlage. Ein Informationspapier des Ausschusses für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 18. Juni 2021, <https://www.dfg.de/download/pdf/foerderung/programme/lis/datentracking_papier_de.pdf>, Stand: 25.01.2022.