LIBER Architecture Group Seminar “Designing for Learning and Scholarship: a challenge for librarians, architects and all” in Luxemburg

Gefühlt die erste Tagung in Präsenz und die erste Dienstreise nach den starken Einschränkungen durch den Corona-Schutz-Betrieb! Nachdem das traditionsreiche Seminar der LIBER Architecture Group pandemiebedingt 2020 und 2021 ausfallen musste, konnte es endlich im April dieses Jahres nachgeholt werden, noch dazu als 20. Jubiläumsausgabe der Tagung.1

Durch die Erfahrungen der Bibliotheken im Verlauf der Corona-Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine neue Situation entstanden. Einerseits wurden die Bibliotheken gerade von den Studierenden schmerzlich vermisst, andererseits stellen Bibliotheken fest, dass sie sich im dauerhaft hybriden Alltag neu aufstellen müssen. Das Tagungsprogramm entsprach weitgehend dem Planungsstand von 2020, doch die Diskussion der Konsequenzen der Pandemieerfahrung lief als Subtext gerade beim informellen Austausch immer mit. Es ging um die Grundfragen: Wie entwickelt sich Bildung? Wie entwickelt sich soziale Interaktion? Welche Technologien und welche Raumangebote sind dafür maßgeblich?2

Das 20. Seminar der LIBER Architecture Group (27.-29.04.2022) bot Anlass, neue Bibliotheken und Lernzentren kennenzulernen, die seit der letzten Tagung 2018 in Wien eröffnet wurden. Leider konnten dabei nicht alle interessanten Neubauten berücksichtigt werden, so fehlten zum Beispiel Präsentationen zum markanten Neubau der Universitätsbibliothek Limerick oder zur umfangreichen Sanierung der Staatsbibliothek zu Berlin im Haus Unter den Linden. Konkrete Bau- und Ausstattungsbeispiele verbanden sich mit der generellen Reflexion, wie sich Bibliotheken verändern (müssen), damit sie als Ort und Angebot relevant bleiben. Wie können sie ihre jeweiligen Communities unterstützen bei zukunftsorientierten Veränderungen und angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit, die nach innovativen, nachhaltigen und sozialen Lösungen verlangen?

Besichtigt wurden zwei auf ihre jeweilige Weise sehr eindrucksvolle Luxemburger Bibliotheken: Zum einen das Luxembourg Learning Center als Zentralbibliothek der jungen Luxemburger Universität. Sie wurde 2003 durch Fusion von drei akademischen Bildungsstätten gegründet und befindet sich heute zu großen Teilen in Belval / Esch-sur-Alzette auf dem Gelände einer ehemaligen Stahlfabrik, deren Betrieb 1997 eingestellt wurde und deren Überreste großartig in den Campus integriert sind. Das Gelände wurde komplett saniert, es entstanden hier neben dem Universitätscampus Verwaltungs- und Kultureinrichtungen, eine Shopping Mall sowie Gastronomiebetriebe. Der Kontrast zwischen den Zeugnissen des industriellen Zeitalters und der neuen Architektur für post-industrielle Wissensarbeit ist überaus reizvoll.

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Abb. 1: Impression vom Campus Belval. Foto: Alice Rabeler

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Abb. 2: Fassade des Belval Learning Center. Foto: Alice Rabeler

Hier fand auch die Tagung statt, die vom Team des Luxembourg Learning Center hervorragend organisiert wurde. Vor Ort waren ca. 120 Teilnehmende aus 14 europäischen Ländern. Die Vorträge wurden zudem für die mehr als 90 Online-Teilnehmenden live gestreamt und umgekehrt auch nicht anwesende Vortragende in das Auditorium zugeschaltet. So konnte der Eröffnungsvortrag von Alexi Marmot aus London und der Vortrag von Michaela Sheehan aus Australien übertragen werden. Die Vorträge sind über die Webseite der LIBER Architecture Group zugänglich.3

Vor Ort konnten die Teilnehmenden auch die neue Nationalbibliothek im Luxemburger Stadtteil Kirchberg besichtigen. Der Bau der Architektinnen und Architekten Bolles Wilson wurde im Oktober 2019 fertiggestellt.4 Der Besichtigung vorangestellt war eine Podiumsdiskussion unter Anwesenheit der früheren Direktorin Monique Kieffer und der Architektin Julia Bolles-Wilson.

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Abb. 3: Nationalbibliothek Luxemburg. Foto: Alice Rabeler

Die Vorträge boten eine große Spannbreite von visionären Zukunftsszenarien über begrenzte, konkrete Aufwertungsmaßnahmen existierender Bibliotheksräume bis hin zu Re-Evaluierungen gut genutzter Gebäude, auch hinsichtlich nicht intendierter Effekte, aus denen Andere lernen können.

Den Auftakt machte die Direktorin des Luxembourg Learning Center, Marie-Pierre Pausch, mit ihrer Begrüßungsrede, in der sie zu mutiger, fantasievoller Planung für zukunftsorientierte Bibliotheksgebäude aufrief: „Do not be afraid to dare, do not be afraid to be different!“ Wichtig sei ein Gebäude mit Persönlichkeit und Lebendigkeit, in dem sich Menschen gerne aufhalten, weil sie es als inspirierend erleben. Die Raumstruktur des 2018 eröffneten Belval Learning Center, das in die alte Stahlstruktur der Möllerei, vormals ein Lager für Koks und Eisenerz, eingebaut wurde, bietet abwechslungsreiche Perspektiven auf vielfältige Leseetagen und elliptische, freischwebend wirkende „Pods“ für Gruppenarbeit. Das Gebäude ist 24/7 zugänglich, die Nutzerinnen und Nutzer können im Bereich des flexiblen Mobiliars ihr Arbeits- bzw. Lernsetting beliebig arrangieren.

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Abb. 4: Luxemburg Learning Center. Foto: Alice Rabeler

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Abb. 5: Buchbare Kabinen als Raum-in-Raum-Lösung für Einzelarbeit oder Teilnahme an digitaler Lehre. Foto: Alice Rabeler

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Abb. 6: Luxemburg Learning Center bei Nacht. Foto: Sebastian Lange

In den folgenden Vorträgen wurden neue Bibliotheksbauten vorgestellt: Hier sind an erster Stelle die bereits ikonisch gewordene Zentralbibliothek Oodi in Helsinki und die Bibliothek des Royal College of Surgeons Ireland (RCSI Library), die 2019 den „SCONUL Design Award“ gewann, zu nennen.5

Interessant ist auch das Bauprojekt „Lumen Learning Center“ der Université Paris-Saclay. Drei forschungsstarke Hochschulen mit insgesamt 48.000 Studierenden wurden zusammengelegt. Für sie entsteht gerade ein Gebäude, das als Zielvorstellung experimentelles Lernen unterstützt, z. B. durch Labore für Virtual Reality, Videoproduktion oder Materialdatenbanken für Designer.6 Raumprogramm und Ausstattung wurden 2019 mit User Experience Design in Workshops mit Studierenden und Institutsvertreterinnen und -vertretern der verschiedenen Fächerkulturen entwickelt. Die Eröffnung ist für November 2022 geplant.

Ein weiteres spannendes Gebäude wurde mit der Biblioteca Gabriel Garcia Marquez in Barcelona vorgestellt. Die Architektinnen und Architekten folgen ökologischen Prinzipien zum einen durch die Baukonstruktion, indem hier die bis dato größte Bibliothek in Holzbauweise entstanden ist. Zum anderen verstehen sie die Bibliothek selbst als Teil eines urbanen Ökosystems („libraries as intensified extensions of their neighbourhoods“). So lassen sich im Erdgeschoss alle Glaswände aufschieben und es entsteht eine Terrasse, wo der Stadtraum in die Bibliothek übergeht, man sich Sitzmöbel nach draußen holen und unter Bäumen lesen, musizieren oder plaudern kann. Die Eröffnung fand Ende Mai statt.7

Neben den Neubauten wurden unter der Rubrik „Lessons Learned“ Erfahrungen im täglichen Bibliotheksbetrieb ausgewertet, also der Frage nachgegangen, wie sich ein Gebäude im Alltag bewährt. Das bekannte Gebäude der Bibliothek der TU Delft - mit der markanten mehrere Geschosse hohen Bücherwand - ist bereits 25 Jahre alt, die Inneneinrichtung wurde zuletzt 2012 neu ausgerichtet auf kollaboratives Arbeiten. Inzwischen empfinden die Studierenden jedoch die Akustik als Problem und wünschen sich mehr ruhige Bereiche. In Prüfungsphasen wird daher die ganze Bibliothek auf „silent study“ umgestellt. Außerdem werden zur Entspannung Massage, Achtsamkeitskurse und ein Therapiehund angeboten.

Interessant war auch der Vortrag über das Emily Wilding Davison Building der Royal Holloway University London. Das 2017 eröffnete Gebäude auf dem viktorianischen Campus beherbergt nicht nur die Bibliothek, sondern weitere Serviceeinrichtungen für Studierende. Dies führt zu einer sehr lebendigen Raumnutzung in der Weise, dass auf den gemeinsamen, offenen Flächen die verschiedensten Aktivitäten von studentischen Organisationen stattfinden. Es entsteht aber auch ein neues Governance-Problem: Wer ist für was verantwortlich? Wer hat die Kontrolle über welche Flächen und Ressourcen? Wie kontrolliert man den Zugang, um Sicherheit für alle zu gewährleisten? Die Partizipation der Studierenden ist erwünscht, erfordert aber zeitintensive Abstimmungs- und Organisationsprozesse.

Zum Schluss stellte der niederländische Architekt Aat Vos, der 2021 mit der Karl-Preusker-Medaille ausgezeichnet wurde, noch einmal ganz prinzipielle Überlegungen an: zu Bibliotheken als Orte zur Stärkung einer freien, demokratischen, inklusiven Gesellschaft. Er gab zu bedenken, dass die digitalen und hier vor allem die sozialen Medien zu einem Suchtphänomen („addiction by design“) führen, das nicht zuletzt durch mangelnde Ausgleichsmöglichkeiten in der Pandemie einen Anstieg bei Depressionen ausgelöst hat. Sein Credo lautet, dass Bibliotheken nicht nur Wissen und Bildung aktivieren sollen, sondern auch Sozialkompetenz und demokratische Werte. Bibliotheken sind also nicht nur Orte der persönlichen Entwicklung des Einzelnen, sondern auch Räume, in denen sich Menschen aus allen Milieus begegnen können und damit insgesamt die sozial immer weiter auseinanderdriftende und durchkommerzialisierte Gesellschaft revitalisieren können. Diese Räume müssen mit partizipativem Design so attraktiv gestaltet werden, dass Menschen dafür gerne das eigene Wohnzimmer verlassen.

Fazit: Die Tagung war rundherum anregend. Nach zwei Jahren Pandemie zeigte sich einmal mehr, wie wichtig zum einen die physische Erfahrbarkeit von neuen Bauten und Raumgestaltungen, zum anderen aber auch der informelle Austausch mit Kolleginnen und Kollegen der europäischen Fachcommunity ist.

Alice Rabeler, Universitäts- und Landesbibliothek Bonn

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5884

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