Herausforderungen und Perspektiven der normdatenbasierten Erschließung komplexer Nachlässe in Bibliotheken
Der Nachlass Thomas Eberhard von Ilten (1685–1758) als Beispiel
Zusammenfassung
Eine immer wichtigere Anforderung an die Erschließung von Nachlässen, Briefsammlungen und Autografen sind die Verknüpfung mit Normdaten, Anreicherung mit Metadaten und Darstellung von Bestandsstrukturen. Die gängigen Erschließungswerkzeuge bieten dazu allerdings nur unzureichende Möglichkeiten. Daher werden am Beispiel des umfangreichen und komplexen Nachlasses von Thomas Eberhard von Ilten (1685–1758) die Möglichkeiten und Grenzen der Erschließung mit Kalliope ausgelotet. Es werden Vorschläge für pragmatische Lösungen für die Darstellung von Nachlassstrukturen und zur Datenbereitstellung gemacht.
Summary
An increasingly important requirement for cataloguing private and state papers, correspondence and autographs is linking them with authority data, enrichment with metadata, and the representation of inventory structures. However, the established general cataloguing tools are often insufficient for this purpose. Therefore, the possibilities and limitations of cataloguing in the Kalliope database are explored, using the extensive and complex papers of Thomas Eberhard von Ilten (1685–1758) as an example. Some pragmatic solutions for the representation of inventory structures and data provision are suggested.
1. Einleitung
Sammlungsbezogene Forschung hat in kulturguterhaltenden Einrichtungen Konjunktur.1 Eine treibende Kraft dafür sind die Provenienzforschung und Fragen der Restitution von kolonialem und NS-Raubgut.2 Damit einher geht ein stetig wachsendes Interesse an historischen Sammlungen und Sammlungspraktiken.3 Dies erfordert auch von Bibliotheken eine intensivere Befassung mit Fragen nach der Herkunft und Struktur der eigenen historischen Bestände und wie diese mit modernen Erschließungswerkzeugen adäquat erfasst und abgebildet werden können.4 Ihren Niederschlag finden diese Bemühungen unter anderem in der standardisierten Erfassung von Sammlungs- und Provenienzdaten in den Katalogen sowie der Verknüpfung mit normierten Sammlungs- und Provenienzdaten der GND.5 Die mit normierten Provenienz- und Sammlungsdaten angereicherte Katalogisate sind eine wichtige Ressource für die Provenienz- und Sammlungsforschung. So können diese Daten etwa bei der Suche nach geraubtem Kulturgut helfen.6 In der Sammlungsforschung dienen sie beispielsweise der bestandsübergreifenden Rekonstruktion historischer Sammlungen.7
Vor diesem Hintergrund befasst sich dieser Beitrag mit den spezifischen Herausforderungen der Erschließung von Nachlässen. Ausgangspunkt ist das Beispiel des Nachlasses von Thomas Eberhard von Ilten (1685-1758) an der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek in Hannover (GWLB). Dieser umfangreiche und komplexe Bestand mit vorwiegend handschriftlichem Material aus dem 17. und 18. Jahrhundert wurde ab September 2021 in einem vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur für zwei Jahre geförderten Projekt erschlossen und digitalisiert.8 Der Fokus liegt auf Kalliope als wichtigstem Werkzeug zur Erschließung von Nachlässen und Autografen im deutschen Sprachraum. Die beiden Leitfragen sind erstens, worin die aktuellen Möglichkeiten und Grenzen der normdatenbasierten Nachlasserschließung in Kalliope bestehen, und zweitens, wie komplexe Nachlassstrukturen und Provenienzinformationen erfasst werden können.
Zunächst wird kurz der aktuelle Stand zur normdatenbasierten Sammlungs- und Provenienzerschließung von Handschriften, Nachlässen und Autografen mit Kalliope skizziert. Anschließend werden der Nachlass Thomas Eberhard von Ilten und das Erschließungskonzept vorgestellt. In diesem Zusammenhang werden Lösungsansätze für die Darstellung komplexer Nachlassstrukturen, Inhalte und Provenienzinformationen zur Diskussion gestellt und es wird kurz auf die Frage der Bereitstellung von Forschungsdaten zur Nachnutzung eingegangen. Es soll gezeigt werden, wie die Betrachtung von Sammlungen als Geflecht aus Zuordnungen von Objekten, Urheberschaft und Provenienzen neue Perspektiven auf die Entstehung und Bedeutung von historischen Beständen eröffnet.
2. Normdaten und Bestandsstrukturen in der Erschließung von Nachlässen und Autografen
Die normdatenbasierte Erschließung gedruckter Bestände in Bibliotheken erlaubt eine umfangreiche Nachnutzung von Erschließungsdaten. Forschende können relativ einfach objekt- und sammlungsbezogene Daten zur Bearbeitung unterschiedlicher Fragestellungen zusammenstellen und auswerten. Dabei geht es nicht nur um die Zusammenstellung relevanter Dokumente, sondern auch darum, wie diese miteinander und zu anderen Entitäten, Personen und Orten in Verbindung stehen. Für handschriftliche Bestände, Nachlässe und Autografen stellt sich die Situation deutlich anders dar. Für diese Bestandsgruppen kommen unterschiedliche Erschließungssysteme zur Anwendung. Für Handschriften werden im Handschriftenportal die Titeldatensätze und fachspezifische Normdaten erst in der kürzlich angelaufenen zweiten Projektphase mit GND-Normdaten verknüpft beziehungsweise zusammengeführt.9 Die fachspezifischen Normdaten sollen der genauerem Beschreibung von und besseren Suche nach Handschriften dienen. Zur Normdatenverknüpfung sollen in der neuen Projektphase beispielsweise Thesauri zu Schriften, Buchschmuck und Buchkundlichem erstellt werden.10 Bei den Nachlässen und Autografen ist die Verbunddatenbank Kalliope als Standard-Erschließungswerkzeug mit mehreren Millionen Datensätzen aus Bibliotheken und Archiven im deutschen Sprachraum etabliert. Kalliope erlaubt die Verknüpfung von Bestands- und Einzelaufnahmen mit GND-Normdaten für Personen, Orte, Körperschaften sowie Schlagwörtern. Die erfassten Daten werden von Kalliope als Linked Open Data zur Verfügung gestellt, das heißt sie sind offen und frei zugänglich, verknüpft und maschinenlesbar und -verarbeitbar. Eine Verknüpfung mit GND-Sammlungsdatensätzen11 und Anreicherung mit Provenienzinformationen in eigenen Feldern sind derzeit nicht möglich.
Die Voraussetzungen und Anforderungen an die Darstellung von Bestandsstrukturen sind für Handschriften, Nachlässe und Autografen unterschiedlich. Handschriftenbestände sind in der Regel durch ihre Aufstellung oder die Systematik ihrer Erschließung strukturiert. Nachlässe und Autografensammlungen hingegen verfügen entweder über eine historische Struktur, die bei der Erschließung erhalten werden sollte, oder werden bei Erfassung entsprechend der Vorgaben der Ressourcenerschließung mit Normdaten in Archiven und Bibliotheken (RNAB) sortiert.12 Für die Neusortierung von Familienarchiven sehen die RNAB zumindest eine Unterteilung in Werke, Korrespondenzen, Lebensdokumente und Sammelstücke sowie gegebenenfalls Nachlassbibliothek vor. Für Körperschaftsarchive ist eine Gliederung nach Sachgruppen vorgesehen. In Kalliope ist die Darstellung der daraus resultierenden Bestandstopografien eingeschränkt möglich (vgl. Abb. 1).
Vor diesem Hintergrund stellt sich bei der Erschließung von Autografen und Nachlässen die Frage, wie Bestandsstrukturen und Provenienzinformationen adäquat erfasst und abgebildet werden können. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, wie Erschließungsdaten, die nicht in Kalliope erfasst werden können, als Forschungsdaten strukturiert und zur einfachen Nachnutzung zugänglich gemacht werden können. Wie ein pragmatischer Umgang mit dieser Problemstellung aussehen kann, wird im Folgenden am Beispiel der Erschließung des Nachlasses von Thomas Eberhard von Ilten in Kalliope vorgestellt.
3. Der Nachlass Thomas Eberhard von Ilten
Der Nachlass des hannoverschen Generalkriegskommissars Thomas Eberhard von Ilten kam nach dessen Tod 1758 als Legat an die königliche Bibliothek in Hannover, die heutige Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek. Er umfasst 83 meist aufwändig in Leder gebundene, mit Goldprägung versehene Bände und 10 Mappen. Der Nachlass hat einen Gesamtumfang von über 40.000 Seiten. Es befinden sich darin circa 2.700 Briefe. Den Kern bildet eine 53-bändige Sammlung von Kriegskommissariat- und Landsachen. Es handelt sich dabei um eine Zusammenstellung von Dokumenten zu Kriegen des 17. und 18. Jahrhunderts mit Beteiligung hannoverscher Truppen und zur Militärverwaltung sowie zur Landesverwaltung. Darin finden sich aktenähnliches Material im Original und als Abschrift, Reglements und Korrespondenz, aber auch Tagebücher und Denkschriften. In viele der Bände sind gedruckte und gezeichnete Karten eingebunden. Einige Bände enthalten Illustrationen und sogar Stoffproben (Abb. 2).13
Die im Nachlass Thomas Eberhard von Ilten enthaltenen Dokumente entstanden im Wesentlichen im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Mitgliedern der Familie von Ilten in landesherrlichen Diensten. Außer Unterlagen von Thomas Eberhard von Ilten befindet sich darin Material, das auf seinen Vater, den Diplomaten Jobst Hermann (1649-1730), und seine Brüder, den Hofrichter Ernst August (1683–1740) und den General Johann Georg von Ilten (1688-1749), zurückgeht. Zusätzlich enthält der Nachlass Werke Dritter, etwa die Mémoires des venezianischen Feldherren Matthias Johann von der Schulenburg (1661-1747), eine Sammlung politisch-militärischer Denkschriften.
Bereits in der Iltenschen Bibliothek waren die wesentlichen Teile des Nachlasses gemeinsam aufgestellt. Ihr repräsentativer Charakter manifestierte sich unter anderem in der prachtvollen und einheitlichen Bindung mit Goldprägung und den Familienwappen als Supralibros. Der Nachlass diente der Dokumentation der Leistungen der Familie von Ilten in landesherrlichen Diensten und der Selbstverortung Thomas Eberhard von Iltens im Kontext militärischer Gelehrsamkeit. Dazu gehörte auch die Bezugnahme auf Matthias Johann von der Schulenburg und die adelig-militärische Sammlungspraxis und Schriftstellertätigkeit, die dieser zeitgenössisch verkörperte. Mit dem Legat zu Gunsten der königlichen Bibliothek galt es, die eigene Fama und Memoria dauerhaft zu sichern und in einen größeren Kontext der Geschichte Kurhannovers einzuordnen.14
4. Erschließung des Nachlasses Thomas Eberhard von Ilten
Mit dem Projekt zur Digitalisierung und Erschließung sollen die Auffindbarkeit und Recherche im Nachlass Thomas Eberhard von Ilten sowie die Möglichkeiten zur Nutzung dieser historisch bedeutsamen Sammlung deutlich verbessert werden. Für die Katalogisierung fiel die Wahl auf die Datenbank Kalliope als Standardwerkzeug zur Erschließung von Nachlässen und Autografen. Die Erschließung wird aus arbeitsökonomischen Gründen und im Sinne des Bestandsschutzes auf Grundlage der Digitalisate vorgenommen. Eine Autopsie erfolgt nur bei Fragen, zu deren Klärung eine Konsultation des Originals erforderlich ist. Um die Recherche im Bestand zu erleichtern, wird die Struktur des Nachlasses in der Findbuchansicht von Kalliope als Inhaltsverzeichnis dargestellt (siehe Abb. 1).15
Zur inhaltlichen Erschließung dienen beschreibende Inhaltsverzeichnisse für die einzelnen Bände und Mappen (Abb. 3).
Eine Einzelerschließung erfolgt nur für die Korrespondenz und Manuskripte mit Werkcharakter. Hier wird das auf den Functional Requirements for Bibliographic Records (FRBR) beruhende Werkverständnis der Resource Description and Access (RDA) zu Grunde gelegt, wonach es sich bei Werken um individuelle intellektuelle beziehungsweise künstlerische Schöpfungen handelt.16 Das umfangreiche aktenähnliche Material im Nachlass wird nicht auf Dokumentebene erschlossen. Karten werden einzeln in der IKAR Altkartendatenbank erfasst.
4.1 Darstellung der Bestandsstruktur
Zunächst ging es bei der Erschließung des Nachlasses Thomas Eberhard von Ilten darum, die Struktur des Nachlasses sichtbar zu machen. Er besteht aus zehn Teilbeständen, die wiederum über weitere Hierarchieebenen verfügen (Abb. 4).17
Der größte Teilbestand ist die Sammlung von Kriegskommissariat und Landsachen. Diese wird von zwei Bänden eingeleitet, die über Querverweise mit den folgenden Bänden verknüpft sind. Eine diese Zusammenhänge genau abbildende Verlinkung der Datensätze ist in Kalliope nicht möglich. Außerdem befinden sich am Ende jedes Bandes Inhaltsverzeichnisse, die in einem eigenen Registerband zusammengefasst sind. Auf solche bestandsimmanente Verknüpfungen kann in Kalliope nur durch zusätzliche Bemerkungen hingewiesen werden. Daher sollen die beschreibenden Inhaltsverzeichnisse für einzelne Bände und Mappen sowie die Bestandsbeschreibungen für Nachlass und einzelne Nachlassteile die Orientierung erleichtern.
Bei der Erschließung werden in Kalliope in der Regel die Objekte unterhalb der Bestandsebene auf der Grundlage der buchbinderischen Einheiten (Bände oder Mappen) als (Sammel-)Handschriften erfasst. Einzelne darin befindliche Handschriften, Briefe, Urkunden oder andere Dokumente werden in Unteraufnahmen als enthaltene Handschriften angelegt. In der Findbuchansicht im Kalliope-Katalog werden Handschriftenaufnahmen allerdings nicht sortiert in ihrem topografischen Zusammenhang dargestellt. Das hätte bedeutet, dass etwa in der Findbuchansicht des Nachlasses Thomas Eberhard von Ilten der Umfang und die Binnenhierarchie der Teilbestände nicht darstellbar gewesen wären.
Um die historische Bestandsstruktur und den Aufbau des Bestandes mit seinen vier Hierarchieebenen in Kalliope abzubilden, wurden daher bei der Erschließung des Nachlasses für einzelne Bände und Mappen Unterbestände angelegt (siehe Abb. 1). Diese Entscheidung hat allerdings zur Folge, dass detailliertere Informationen zu Entstehung, spezifischen Merkmalen und Zustand der Bestände nur sehr eingeschränkt hinterlegt werden können. Objektspezifische Charakteristika wie materielle Beschaffenheit, Supralibros, Eintragungen und so weiter können nicht in eigenen Feldern erfasst werden. Dies ist in Kalliope lediglich bei der Handschriftenaufnahme zumindest teilweise möglich. Angaben etwa zu Umfang, Ausreifungsgrad oder Erhaltungszustand können dort in eigenen Feldern erfasst werden.
4.2 Normdatenbasierte Erschließung
Im Zuge der Erschließung des Nachlasses Thomas Eberhard von Ilten wird die Verzeichnung nicht direkt in Kalliope vorgenommen, weil nicht alle benötigten Informationen dort gespeichert werden können. So ist es zum Beispiel nicht möglich, in Kalliope Angaben zum Empfängerort zu hinterlegen. Außerdem können für eine Handschrift nicht mehr als zehn darin erwähnte Personen erfasst oder mehr als zehn Schlagwörter vergeben werden. Dies hat unter anderem zur Folge, dass nur eingeschränkt normierte Informationen zur Urheberschaft und zum Inhalt der erfassten Objekte hinterlegt werden können. Zunächst erfolgt deshalb eine Verzeichnung in Tabellen (vgl. Abb. 5).18
Bei der Erfassung in Kalliope werden die aufgenommenen Personen- und Körperschaftsdaten sowie Geografika mit GND-Normdatensätzen verknüpft. Personen- und Körperschaftsdatensätze werden gegebenenfalls in der GND neu angelegt.
In den Excel-Tabellen werden auch Daten erfasst, die nicht in die Katalogisate aufgenommen werden. Bei Korrespondenz sind das zum Beispiel Informationen zum Ort der Empfängerinnen und Empfänger, die in Kalliope nicht erfasst werden können. Nach Abschluss des Projekts werden solche Informationen als Forschungsdaten über ein Repositorium bereitgestellt. Neben den Erschließungsdaten werden auch andere Informationen, beispielsweise Graph-Daten, Angaben zu Bestandsumfang und -struktur sowie Rechercheergebnisse und Quellen zum Nachlass Thomas Eberhard von Ilten als Forschungsdaten und in der Projektdokumentation zur Nachnutzung nach FAIR-Prinzipien frei zugänglich gemacht.19
Was sich in der Theorie eines Erschließungskonzeptes zunächst einfach anhört, bringt bei seiner Umsetzung angesichts der Komplexität und Diversität des Bestandes eine Reihe von Problemen mit sich. Die Erschließung von Personen, Körperschaften, Geografika und Schlagwörtern mit Normdaten in Kalliope erlaubt, über den einzelnen Nachlass hinaus, Objekt- und Normdatensätze miteinander zu verknüpfen. Allerdings besteht hier eine entscheidende Einschränkung, wenn pro Katalogisat nur eine beschränkte Zahl von Normdatensätzen verknüpft werden kann.
4.3 Nachnutzung von Erschließungsdaten
Mit der Digitalisierung und Erschließung des Nachlasses Thomas Eberhard von Ilten wird die Grundlage für eine möglichst umfangreiche Nutzung der darin gesammelten Quellen geschaffen. Dazu gehört auch die Nachnutzung von Erschließungsdaten, vor allem mit Werkzeugen der Digital Humanities. Die Erfassung in Kalliope erlaubt es, über eine SRU-Schnittstelle Daten in MODS und Dublin Core Standards maschinell auszulesen.20 Mit Hilfe von Metadatenmanagement- und Datenaufbereitungswerkzeugen wie Catmandu und Open Refine können Daten aus einer Abfrage über die SRU in andere Formate, zum Beispiel CSV-Tabellen, umgewandelt und bereinigt werden.21 Auf dieser Datenbasis können beispielsweise graphenbasierte Analysen von Sammlungsstrukturen durchgeführt oder mit Hilfe von Geoinformationssystemen Korrespondenznetzwerke in ihrer geographischen Verteilung visualisiert werden.
Mit Abschluss des Projektes sollen die Projektdokumentation und weiterführende Informationen zur Erschließung, Provenienzen sowie zur Bestandsgeschichte über Publikationen und ein Repositorium verfügbar gemacht werden. Um eine einfachere und umfassendere Nachnutzung zu ermöglichen, werden die in Tabellen erfassten Erschließungsdaten über ein Repositorium bereitgestellt. Diese Tabellen umfassen auch jene Informationen, die nicht in Kalliope hinterlegt werden können, und lassen sich relativ einfach weiterverarbeiten. Gleiches gilt für Graphen-Daten, die im Rahmen der Arbeit am Nachlass Thomas Eberhard von Ilten entstanden sind, beispielsweise Daten zur Analyse des Korrespondenznetzwerkes von Jobst Hermann von Ilten. Diese werden im Gephi- und JSON-Format derzeit noch auf Zenodo hinterlegt.22
Diese Informationen sollen fortlaufend ergänzt werden können. Bei der Datenbereitstellung ist es entscheidend, möglichst klar strukturierte Daten als Linked Open Data in nicht proprietären Formaten und mit offenen Lizenzen anzubieten. Es kann auch wichtig sein, Daten nicht nur in bibliothekarischen Standards, sondern auch in generischen Formaten zur Verfügung zu stellen (zum Beispiel CSV, JSON, XML). So wird eine umfassende Nachnutzung mit unterschiedlichen Werkzeugen der Digital Humanities erleichtert.
5. Fazit und Ausblick
Für eine Erschließung von Nachlässen in Bibliotheken führt, trotz technischer Einschränkungen, an Kalliope kein Weg vorbei. Kein anderes Werkzeug erlaubt es, die spezifischen Merkmale von Nachlässen und Autografen ähnlich präzise zu erfassen, Bestandsstrukturen sichtbar zu machen und Erschließungsdaten als Linked Open Data bereitzustellen. Durch die Erschließung im Verbund können bestands- und einrichtungsübergreifende Verknüpfungen hergestellt werden, etwa mittels der beteiligten Personen bei über mehrere Institutionen verteilten Korrespondenzen. Die gängigen OPAC-Systeme erlauben zwar eine umfangreichere normdatenbasierte Erschließung, beispielsweise durch die normdatenbasierte Erfassung von Provenienzinformationen und Verknüpfung mit Sammlungsdatensätze der GND. Allerdings sind sie nicht dazu geeignet, Sammlungsstrukturen im Frontend abzubilden und navigierbar zu machen. Umfangreichere Erläuterungen im Findbuch zu Bestandsaufbau und -geschichte oder Inhalt und Erschließung lassen sich dort ebenfalls nicht hinterlegen. Ähnliches gilt für das Handschriftenportal.
Kalliope ist also als zentrales Erschließungs- und Nachweissystem von Nachlässen und Autografen im deutschen Sprachraum unabdingbar. Für die zukünftige Weiterentwicklung wäre es wünschenswert, wenn die Möglichkeiten zur normdatenbasierten Erschließung erweitert würden, beispielsweise durch die Ergänzung von Datensätzen um objekt- und sammlungsspezifische Informationen. Eine Berücksichtigung der Empfehlungen des DBV zur Provenienzforschung und -erschließung wäre dabei zu begrüßen.23 Zudem wäre eine Vereinfachung der Nachnutzung von Daten wünschenswert. Denkbar wären hier eine Erweiterung der angebotenen Schnittstellen oder unkompliziertere Datenabfrage und -export über eine Abfragemaske.
Am Nachlass von Thomas Eberhard von Ilten lässt sich beispielhaft zeigen, wie mit den aktuellen Beschränkungen von Kalliope umgegangen werden kann. Dabei macht es Sinn, gerade bei der Erschließung von gebundenem handschriftlichem Material anders als bei der Handschriftenerschließung sonst üblich vorzugehen. Anstatt mit dem Modell von Sammelhandschriften zu arbeiten, ist es mitunter sinnvoll, einzelne Bände in Kalliope als Bestände anzulegen. Nur so können die unterschiedlichen Strukturebenen sichtbar und die Bestandsstruktur für Nutzerinnen und Nutzer nachvollziehbar gemacht werden. Außerdem sollten zusätzliche Informationen zum Nachlass und Forschungsdaten bereitgestellt werden. Unkomplizierte Lösungen dafür sind eigene oder in Kooperation mit anderen Institutionen betriebene Repositorien. Als Alternative bieten sich Online-Speicherdienste für wissenschaftliche Datensätze wie zum Beispiel Zenodo an. Solche auch in kleineren Einrichtungen relativ einfach zu realisierende Angebote verbessern nicht nur die Sichtbarkeit und Nutzbarkeit von Bibliotheksbeständen und Bestandsdaten. Sie unterstützen auch bei der datenbasierten Forschung und helfen Sammlungseinrichtungen dabei, ihre Bestände besser zu verstehen und nachhaltig zu erschließen.
Literaturverzeichnis
- Burschel, Peter; Gleixner, Ulrike; Steyer, Timo u.a. (Hg.): Forschen in Sammlungen. Dynamiken, Transformationen, Perspektiven, Göttingen 2023.
- dbv Kommission für Provenienzforschung und Provenienzerschließung: Empfehlungen der Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung. Sammlungen in der Provenienz-
erschließung, Juli 2020. Online: <https://www.bibliotheksverband.de/sites/default/files/2020-12/Empfehlungen_Sammlungen_in_der_Provenienzerschliessung.pdf>, Stand: 15.09.2023. - Handschriftenportal, <https://handschriftenportal.de>, Stand: 18.09.2023.
- Kalliope Verbundkatalog, <https://kalliope-verbund.info/>, Stand: 15.09.2023.
- Scheibe, Michaela: Standards in der Provenienzerschließung. Bericht aus der Arbeitsgemeinschaft Handschriften und Alte Drucke in der Sektion IV des DBV, UAG Provenienzforschung und Provenienzerschließung, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 61, 2014,
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- Zuschlag, Christoph: Einführung in die Provenienzforschung. Wie die Herkunft von Kulturgut entschlüsselt wird, München 2022.
1 Dieser Beitrag beruht auf dem Vortrag „Herausforderungen und Perspektiven der Erschließung komplexer Nachlässe in Bibliotheken“ am 23. Mai 2023 anlässlich der 111. BiblioCon in Hannover.
2 Zuschlag, Christoph: Einführung in die Provenienzforschung. Wie die Herkunft von Kulturgut entschlüsselt wird, München 2022.
3 Zum Stand und Perspektiven der Sammlungsforschung im deutschen Sprachraum in Kürze Burschel, Peter; Gleixner,
Ulrike; Steyer, Timo u.a. (Hg.): Forschen in Sammlungen. Dynamiken, Transformationen, Perspektiven, Göttingen 2023.
4 Weber, Jürgen: Sammlungsspezifische Erschließung. Die Wiederentdeckung der Sammlungen in den Bibliotheken, in: Bibliotheksdienst 43, 2009, S. 1162–1178. Online: <https://dx.doi.org/10.1515/bd.2009.43.11.1162>.
5 Scheibe, Michaela: Standards in der Provenienzerschließung. Bericht aus der Arbeitsgemeinschaft Handschriften und Alte Drucke in der Sektion IV des DBV, UAG Provenienzforschung und Provenienzerschließung, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 61, 2014, S. 367–375. Online: <https://dx.doi.org/10.3196/186429501461673>; Empfehlungen der Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung des DBV. Sammlungen in der Provenienzerschließung, bibliotheksverband.de, Juli 2020. Online: <https://www.bibliotheksverband.de/sites/default/files/2020-12/Empfehlungen_Sammlungen_in_der_Provenienzerschliessung.pdf>, Stand: 18.09.2023; aktuell dazu der Vortrag von Michaela Scheibe und Reinhold Heuvelmann auf der BiblioCon 2023 in Hannover: Interoperabilität von Provenienzdaten – Aktuelles zu Normdaten und Austauschformaten, Hannover 23. Mai 2023. Online: <https://opus4.kobv.de/opus4-bib-info/frontdoor/index/index/docId/18452>, Stand: 18.09.2023.
6 Reschke, Robin: Über den Nutzen und die Anwendung von Körperschaftssätzen in der GND. Beispiele aus dem
Provenienzforschungsprojekt der SLUB Dresden, saxorum.hypotheses.org, 7. Mai 2019. Online: <https://saxorum.hypotheses.org/2350#more-2350>, Stand: 18.09.2023
7 Ein Beispiel wäre die Rekonstruktion der Bibliothek von Johann Wolfgang Goethe: Goethes Bibliothek. Online: <https:
//www.klassik-stiftung.de/forschung/sammlungen-bestaende/sammlung/goethes-bibliothek/>, Stand: 18.09.2023.
8 Erschließung und Digitalisierung des Nachlasses Thomas Eberhard von Ilten (1685–1758). Online: <https://www.gwlb.de/die-bibliothek/projekte/erschliessung-und-digitalisierung-des-ilten-nachlasses>, Stand: 18.09.2023.
9 Phase II, Online: <https://handschriftenportal.de/info/phase-2>, Stand: 18.09.2023.
10 Handschriftenportal (HSP). Fortsetzungsantrag, 22.10.2021. Online: <https://www.handschriftenzentren.de/wp-
content/uploads/2022/09/antrag_hsp_2_fuer_publikation.pdf>, S. 21, Stand: 18.09.2023.
11 Die GND erlaubt das Anlegen von Datensätzen für Sammlungen als Werkdatensätze, die bei der Erschließung reziprok
mit Sammlungsobjekten verknüpft werden können. Siehe dazu: Erfassungshilfen für Werke EH-W-11. Sammlungen,
18. September 2023. Online: <https://wiki.dnb.de/pages/viewpage.action?pageId=106927515&preview=/
106927515/223729181/EH-W-11.pdf>, Stand: 18.09.2023.
12 Ressourcenerschließung mit Normdaten in Archiven und Bibliotheken (RNAB) für Personen-, Familien-, Körperschafts-
archive und Sammlungen. Richtlinie und Regeln, Version 1.1, Februar 2022. Online: <https://d-nb.info/1271740966/
34>, URN:nbn:de:101-20220930145.
13 Auf Abb. 2 ist von links im Uhrzeigersinn zu sehen: ein Band der Sammlung von Kriegskommissariat- und Landsachen mit Uniformbildern (Ms XXIII, 1234:1,2), ein Band aus der Sammlung von Briefen an Jobst Hermann von Iklten
(Ms XXIII, 1245:1), ein Band mit Stoffproben aus der Sammlung von Kriegskommissariat- und Landsachen (Ms XXIII, 1245:23) und ein Brief aus der daneben liegenden Mappe mit Briefen an Johann Georg von Ilten (Ms XXIII: 1247).
14 Ausführlicher zum Nachlass Thomas Eberhard von Ilten und seiner Bedeutung in historischer Perspektive und als Gegenstand der Sammlungsforschung demnächst Pranghofer, Sebastian: Historische Sammlungen in Bibliotheken als Netz aus Objekten und Informationen. Der Nachlass Thomas Eberhard von Ilten, in: Münkner, Jörn; Weis, Joëlle; Görmar, Maximilian (Hg.): Sammlung und Netz. Theoretische und praxeologische Implikationen, voraussichtlich Göttingen 2024 (im Druck).
15 Online-Ansicht des Findbuchs Nachlass Thomas Eberhard von Ilten, kalliope-verbund.info. <https://kalliope-verbund.info/findingaid?fa.id=DE-611-BF-6523&fa.enum=1&lastparam=true>, Stand: 18.09.2023.
16 Werk, RDA DACH. Online: <https://sta.dnb.de/doc/RDA-A-WERK>, Stand: 18.09.2023; Wiesenmüller, Heidrun; Horny, Silke: Basiswissen RDA. Eine Einführung für deutschsprachige Anwender, 2. Aufl., Berlin 2017. Online: <https://10.1515/9783110544725>, S. 17.
17 Die gestrichelten Linien im Schema der Bestandsstruktur repräsentieren Querverweise zwischen unterschiedlichen Bestandteilen der Sammlung von Kriegskommissariat- und Landsachen.
18 Die Tabelle zur Verzeichnung von Erschließungsdaten verfügt über weitere Felder (Entstehungsort GND, Ort Empfänger, Ort Empfänger GND, Datierung, Sprache, Ausreifungsgrad, Objekteigenschaften, Bemerkungen und Bearbeitungsvermerke).
19 FAIR steht für free, accessible, interoperable und reusable. Das heißt, Daten, die nach FAIR-Prinzipien bereit gestellt werden sollen gemeinfrei, leicht auffindbar und in unterschiedlichen Systemumgebungen umfassend nachnutzbar sein. FAIR Principles, <https://www.go-fair.org/fair-principles/>, Stand: 18.09.2023.
20 Search/Retrieval via URL (SRU), kalliope-verbund.info, <https://kalliope-verbund.info/de/support/sru.html>, Stand 18.09.2023.
21 Catmandu. a data toolkit, <https://librecat.org/Catmandu/>, Stand 18.09.2023; Open Refine, <https://openrefine.org/>, Stand: 18.09.2023.
22 Pranghofer, Sebastian: The Network of Correspondents of Jobst Hermann von Ilten (1649–1730), Datensatz, 1. Juli 2023. Online: <https://doi.org/10.5281/zenodo.7892853>; Pranghofer, Sebastian: The Structure of the Collection of Private and State Papers of Thomas Eberhard von Ilten (1685–1758), Datensatz, 18. September 2023. Online: <https://doi.org/10.5281/zenodo.8356480>.
23 Die Empfehlungen der Kommission Provenienzforschung und Provenienzerschließung des DBV sehen vor, dass Sammlungen in der Provenienzerschließung als Werkdatensätze in der GND angelegt werden. Im Sinn der Sammlungsdefinition der Empfehlungen würde es sich beim Nachlass Thomas Eberhard von Ilten um eine Sammlung
handeln (Juli 2020, <https://www.bibliotheksverband.de/sites/default/files/2020-12/Empfehlungen_Sammlungen_in_der_Provenienzerschliessung.pdf>, Stand: 18.09.2023, S. 1).