Ein Freund der Bücher

Nachruf auf Prof. Dr. Hans-Peter Geh (1934–2023)

Der frühere Direktor der Württembergischen Landesbibliothek (WLB), Prof. Dr. Hans-Peter Geh, ist am 21. September 2023, nur wenige Tage nach dem Tode seiner Ehefrau Roswitha, im Alter von 89 Jahren in Bad Homburg verstorben. Die Nachricht vom Tode dieser liebenswerten Menschen hat mich schmerzlich berührt, zumal ich beide zu meinen Freunden zählen durfte.

Hans-Peter Geh wurde am 11. Februar 1934 in Frankfurt am Main geboren. Sein Geburtstag fiel mit dem Tag zusammen, an dem im Jahre 1728 Herzog Carl Eugen von Württemberg geboren wurde. Dieser hat anlässlich seines 37. Geburtstages am 11. Februar 1765 die Herzogliche Öffentliche Bibliothek in Ludwigsburg gegründet, die als Keimzelle der späteren WLB gelten kann. Hans-Peter Geh hat diese Koinzidenz als gutes Omen für die Leitung der WLB empfunden.

Das Studium der Geschichte, Anglistik und Politischen Wissenschaften in Frankfurt am Main und Bristol schloss Geh 1963 mit dem Staatsexamen ab und wurde im gleichen Jahr mit einer Dissertation zum Thema „Insulare Politik in England vor den Tudors“ promoviert.

Nach seinem Bibliotheksreferendariat wurde er an der UB Frankfurt Leiter der Benutzungsabteilung und Studienleiter der Frankfurter Bibliotheksschule. Nachdem er 1968 die Generalkonferenz der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) in Frankfurt organisiert hatte, bewarb er sich erfolgreich um die Nachfolge von Wilhelm Hoffmann als Direktor der WLB. Dieses Amt trat er am 1. Januar 1970 im Alter von 35 Jahren an. In den folgenden 27 Jahren bis zu seiner Pensionierung im Februar 1997 hat er die WLB mit großem Engagement und Geschick geleitet.

Sein Augenmerk galt nicht nur der Modernisierung der Bibliothek, sondern auch der Erweiterung und Pflege ihres hervorragenden Altbestands. Zu seinen spektakulären Erwerbungen gehören die Ersteigerung einer Gutenberg-Bibel im Jahre 1978 und der Ankauf der Handschriften und Inkunabeln der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen in den Jahren 1993/94. Bei diesem Ankauf konnte ich als sein Stellvertreter in dem mir möglichen Rahmen mitwirken. Nachdem ich dann am 1. Februar 1994 zum Direktor der Badischen Landesbibliothek berufen worden war, gelang es Herrn Geh und mir, die von der Landesregierung geforderte Aufteilung der Fürstenbergischen Sammlung auf die beiden Landesbibliotheken in einer für beide Seiten befriedigenden Weise zu lösen. Auch in den folgenden drei Jahren bis zur Pensionierung Gehs war die Zusammenarbeit mit ihm von Kollegialität und Freundschaft geprägt.

Gehs Wirken blieb aber nie auf den inneren Dienstbetrieb beschränkt, sondern er hat auch in zahlreichen bibliothekarischen Gremien in herausragender Position mitgearbeitet. Die Krönung seiner beruflichen Laufbahn war sicherlich die Präsidentschaft der IFLA in den Jahren 1985 bis 1991. Als im August 1991 die IFLA-Tagung in Moskau abgehalten wurde, während deren Verlauf ein Putschversuch gegen Michail Gorbatschow stattfand, hat es Geh mit großem Mut und mit Überzeugungskraft verstanden, den Abbruch der Tagung zu verhindern.

Gehs kosmopolitische Einstellung fand auch in seiner Leitung der Bibliothekarischen Auslandsstelle ihren Ausdruck. In dieser Funktion organisierte er zahlreiche Begegnungen und Tagungen mit ausländischen Bibliothekarinnen und Bibliothekaren. Sein großer Bekanntheitsgrad und seine internationalen Kontakte führten nach seinem Eintritt in den Ruhestand dazu, dass er bei dem UNESCO-Projekt der Errichtung einer neuen „Bibliotheca Alexandrina“ in der Nähe der berühmten antiken Bibliothek im Board of Trustees mitwirken konnte.

Hans-Peter Geh wurde 1989 mit dem Verdienstkreuz am Bande und 1998 mit dem Verdienstkreuz erster Klasse der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. 2003 erhielt er vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten den Ehrentitel Professor. Durch seinen Tod verliert das deutsche Bibliothekswesen einen seiner auch international lange Zeit bekanntesten und erfolgreichsten Vertreter. Geh gehörte einer Generation von Bibliothekaren an, denen die Liebe zum Buch noch stärker am Herzen lag als die durch technische Innovationen notwendig gewordene Umstellung der Bibliotheken auf neue Medien und Informationsquellen.

Zu Gehs Lieblingssätzen, die er gerne bei besonderen Anlässen zitierte, gehörte eine Äußerung der französischen Schriftstellerin Évelyne Pisier: „Ohne Kultur wird es kein Europa geben und Kultur, das sind in der Hauptsache Bücher“.

Peter Michael Ehrle, Waldbronn

Zitierfähiger Link (DOI): https://doi.org/10.5282/o-bib/5997

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