Das Aufgabenspektrum des Fachreferats in wissenschaftlichen Bibliotheken befindet sich seit einigen Jahren im Wandel.1 Mit Fokus auf die Zielgruppen in Wissenschaft, Lehre und Studium gewinnen sog. forschungsnahe Dienste, wie z.B. Publikationsservices, Forschungsdatenmanagement, Urheberrecht, Text und Data Mining, Bibliometrie etc. sowie auch Dienstleistungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) zunehmend an Bedeutung, während die ehemals „klassischen“ Fachreferatsaufgaben wie Literaturerwerbung und inhaltliche Erschließung bei den Fachreferent*innen immer mehr in den Hintergrund treten und stattdessen von anderen Bereichen der Bibliothek übernommen werden oder durch technischen Fortschritt (zumindest teilweise) automatisiert verrichtet werden können. Die Möglichkeit und gelebte Praxis von Fremddatenübernahmen, der Einsatz von KI in der Sacherschließung sowie Approval Plans, Standing Orders, Profildienste etc. reduzieren den intellektuellen Aufwand bei Erwerbung und Erschließung erheblich. Sacherschließung wird perspektivisch größtenteils auf elektronischen Ressourcen und mit Methoden der KI stattfinden. Die meisten Arbeiten im Bereich der Erwerbung und Inhaltserschließung erfordern daher kein universitäres Fachstudium mehr. Fachreferent*innen übernehmen zukünftig vor allem Aufgaben im Bereich der jeweiligen Methodenkompetenzen des digitalen Bestandsaufbaus (Literatur und Daten) sowie die Kommunikation mit Wissenschaftler*innen und benötigen deshalb heutzutage weniger spezifisches Fach- als vielmehr generisches Methodenwissen. Sie sollten je nach disziplinärer Zuständigkeit mit den Methoden der Geistes-, Sozial-, Natur- oder Ingenieurwissenschaften vertraut sein, um Wissenschaftler*innen im Rahmen der forschungsnahen Dienste adäquat unterstützen und beraten zu können. Gleichzeitig existiert ein wachsender Bedarf an Data Librarians in der Funktion der Inhaltsvermittlung und Unterstützung bei der Datenaufbereitung und -auswertung.
o-bib hat den Wandel im Aufgabenspektrum des Fachreferats bereits vor zwei Jahren in einem Themenschwerpunkt ausführlich beleuchtet.2 Darin wurde konstatiert, dass es nur wenige empirische Betrachtungen zur Fachreferatsarbeit gibt.3 Ziel der damaligen o-bib-Ausgabe war es, diese Lücke zumindest partiell zu schließen. Es wurde gezeigt, dass in wissenschaftlichen Bibliotheken schon vereinzelt Ansätze existieren, um auf die geänderten Bedarfe zu reagieren. Mit „Fachreferat plus X“ (Universitätsbibliothek Duisburg-Essen), „#Fachreferatsfreitag“ (Universitäts- und Landesbibliothek Münster), neuen fachlichen Aufgabenbereichen im Forschungsdatenmanagement (Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München), agiler Projektarbeit im Rahmen des Fachreferats (Universitätsbibliothek Magdeburg) oder dem Zusammenspiel von geisteswissenschaftlichen Fachreferaten und Digital Humanities (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena, Universitätsbibliothek der Universität der Künste Berlin und Universitätsbibliothek der Technischen Universität Braunschweig) sind hier nur einige Ansätze und Initiativen genannt, anhand derer dies belegt wurde.4
Auch die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt (ULB) hat bereits auf die geänderten Rahmenbedingungen und Anforderungen reagiert und damit begonnen, die Fachreferate neu zu organisieren. Da das „Darmstädter Modell“ auf der BiblioCON 20235 in Hannover sowie in einem Vortrag im September 2023 auf der vom Zentrum für Bibliotheks- und Informationswissenschaftliche Weiterbildung (ZBIW) angebotenen Fortbildung „Erfahrungsaustausch: Fachreferate der Geisteswissenschaften“ in Bonn auf sehr großes Interesse stieß und die Referentin und Autorin des vorliegenden Beitrags auch im Nachgang zu den beiden Veranstaltungen zahlreiche Nachfragen erhielt, sollen die Darmstädter Vorgehensweise sowie die bisherigen Erfahrungen und Erkenntnisse hier im Folgenden näher vorgestellt werden.
Die ULB Darmstadt besteht aus den drei Standorten Stadtmitte, Schloss und Lichtwiese. ULB Stadtmitte und ULB Schloss befinden sich im Stadtzentrum, die ULB Lichtwiese auf dem Campus Lichtwiese im Osten der Stadt. Die Bibliothek gliedert sich linear in sechs Abteilungen und drei Stabsstellen:
In der Abteilung „Bestandsentwicklung und Erschließung“ sind neben dem Team Lizenzen und Rechte die drei Fachteams „Geistes- und Sozialwissenschaften“ (GeSoWiss), „Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik“ (MINT) und „Natur- und Ingenieurwissenschaften, Kultur- und Architektur“ (NIKA) angesiedelt. Die Fachteams versorgen Forschende, Lehrende und Studierende der TU Darmstadt sowie auch Landesnutzer*innen mit der aktuell benötigten Literatur aus den jeweiligen Fachgebieten, sowohl mit lizenziertem Content als auch mit Open Access-Inhalten und sowohl in elektronischer als auch in gedruckter Form. In jedem Fachteam finden sämtliche Vorgänge der Erwerbung und Erschließung über alle Medienarten hinweg statt. Es gibt keine separate Monographien-, Zeitschriften- oder E-Medienstelle o.ä., sondern jeweils damit befasste Expert*innen in den Fachteams. Letztere sind, wie ihre Bezeichnung bereits signalisiert, fachlich spezialisiert und kennen die inhaltlichen Schwerpunkte und Literaturbedarfe der ihnen zugeordneten Fachbereiche sehr genau.
Die disziplinäre Zuständigkeit der einzelnen Fachteams resultiert aus der Struktur bzw. geographischen Verteilung der TU Darmstadt. Team NIKA ist am Standort ULB Lichtwiese tätig und betreut die auf dem Campus Lichtwiese ansässigen Fachbereiche. Team GeSoWiss und Team MINT sind in der ULB Stadtmitte angesiedelt und für die auf dem Campus Stadtmitte beheimateten Fachbereiche zuständig.6 Mit dieser Aufteilung ist für Wissenschaftler*innen und Studierende eine örtliche Nähe zu den Beständen sowie ein enger persönlicher Kontakt mit festen Ansprechpersonen in der Bibliothek gewährleistet.
Die Fachreferent*innen sind Teil der Fachteams und nehmen auch an den regelmäßigen Teambesprechungen teil. Umgekehrt ist bei den Fachreferentensitzungen auch stets eine Fachteamleitung zugegen. Somit findet ein kontinuierlicher wechselseitiger Informationsfluss statt. Jedes Fachteam besteht aus Mitarbeiter*innen des höheren, gehobenen und mittleren Dienstes im Beamten- oder Angestelltenverhältnis. Die Büros der Fachreferent*innen befinden sich in enger räumlicher Nähe zu den übrigen Kolleg*innen des jeweiligen Fachteams. Personell sind die Fachreferent*innen größtenteils der Abteilungsleitung „Bestandsentwicklung und Erschließung“ unterstellt. In wenigen Fällen unterstehen sie – unter Berücksichtigung ihres übrigen Aufgabenportfolios – hauptsächlich einer anderen Abteilungsleitung (Abteilung „Service, Information und Publizieren“, Abteilung „Informationstechnologie, Forschung und Entwicklung“ und Abteilung „Historische Sammlungen“) und nehmen mit ihren Fachreferaten lediglich kleinere Anteile in der Abteilung „Bestandsentwicklung und Erschließung“ wahr. Im Bereich ihrer Fachreferate sind diese Personen jedoch der Abteilungsleitung „Bestandsentwicklung und Erschließung“ inhaltlich weisungsgebunden.
Angesichts des Bedarfs der Wissenschaft an digital verfügbaren Sammlungen bzw. Korpora für den Einsatz innovativer Forschungsmethoden wie Text und Data Mining, Topic Modeling, szientometrische Analysen etc. arbeitet die ULB Darmstadt im Rahmen des DFG-geförderten Projekts „Workflow Digitale Medien“ (WDM)7 daran, einen prototypischen und leicht adaptierbaren Workflow zu entwickeln, mit dem Bibliotheken digitale Forschungspublikationen aggregieren, aufbereiten und schließlich Forschenden in einem einheitlichen XML/TEI-Format zur Verfügung stellen können. Der Workflow soll nach „Fertigstellung“ in den Regelbetrieb bei Erwerbung und Erschließung an der ULB übergehen. Dies bedeutet, dass zukünftig alle Fachteams inkl. Fachreferent*innen bei WDM mitwirken werden, u.a. bei der Datenauswahl, -akquisition, -bereinigung und -konversion (Metadaten und Volltexte inkl. zusätzlicher Materialien wie Bilder, Diagramme, Tabellen, Videos etc.).
Die ULB Darmstadt hat 2021 begonnen, Fachreferate neu zu organisieren. Da die Fachreferent*innen im Zuge des eingangs skizzierten Wandels auch in Darmstadt zunehmend mit forschungsnahen Diensten betraut sind und/oder Management- und Koordinationsaufgaben wahrnehmen, wie z.B. Teamleitung Lizenzen und Rechte, Personal-, Aus- und Fortbildungsreferentin, Leitung Forschungsdaten-Services, Haushalts- und Statistikbeauftragter, Leitung AG Normen, Richtlinien und Standards, Projektkoordination WDM, Leitung Kompetenzteam Bibliometrie etc., besteht hier Bedarf zur Entlastung. Vor diesem Hintergrund sind neue Rollenverteilungen bzw. Aufgabenverlagerungen zwischen höherem, gehobenem und mittlerem Dienst bei Bestandsaufbau und Erschließung erforderlich.
An der ULB wurden bzw. werden im Zuge dessen insbesondere die Bereiche Literaturauswahl und -beschaffung (kostenpflichtige und frei verfügbare Inhalte), klassifikatorische Sacherschließung nach der Regensburger Verbundklassifikation (RVK) sowie Budgetüberwachung (Monitoring) vom höheren an den gehobenen Dienst übertragen. Verbale Sacherschließung gemäß den „Regeln für den Schlagwortkatalog“ (RSWK) findet an der ULB nur noch in sehr wenigen Fällen statt.8 Erwerbungsstrategische Entscheidungen, wie z.B. die Lizenzierung hochpreisiger Journals und Datenbanken oder die Teilnahme an Transformationsverträgen und Evidence Based Selection (EBS)-Projekten etc., sowie die Budgetverantwortung obliegen nach wie vor den Fachreferent*innen. Letztere fungieren auch weiterhin als Hauptansprechpersonen für die Fachbereiche der TU Darmstadt. Bei komplizierteren Sachverhalten, wie z.B. der klassifikatorischen Erschließung von Dissertationen der TU oder fremdsprachiger Spezialliteratur (in diesen Fällen liegen i.d.R. keine Fremddaten vor), kann jederzeit der/die zuständige Fachreferent*in hinzugezogen werden.
Bislang wurden an der ULB die Fachreferate ‚Architektur, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie‘, ‚Chemie und Materialwissenschaften‘ sowie ‚Maschinenbau‘ auf das neue Modell umgestellt. Dies geschah jeweils im Zuge eines Personalwechsels im Fachreferat. Weitere Fachreferate werden sukzessive folgen. Es haben sich Tandems aus jeweils einem/einer Fachreferent*in und einem/einer Kolleg*in aus dem gehobenen Dienst des entsprechenden Fachteams formiert, die in den Fachreferaten zusammenarbeiten. Die oben beschriebene Fachteamstruktur der ULB erweist sich dabei insofern als großer Vorteil, als Fachreferent*innen, Bibliothekar*innen und Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste (FaMIs) auch bisher schon vergleichsweise eng zusammengearbeitet haben. Dies wird nun noch intensiviert. Dadurch greifen alle Prozesse unmittelbar ineinander. Kolleg*innen aus dem gehobenen Dienst, die in den Fachreferaten mitwirken, wurden in den Mailverteiler der Fachreferent*innen aufgenommen und können bei Bedarf den/die Fachreferent*in vertreten, z.B. in Fachreferentensitzungen. Sie haben Zugriff auf die Sitzungsvorlagen im Intranet und sind somit stets über aktuelle Angelegenheiten informiert. Teilweise bereiten die Kolleg*innen aus dem gehobenen Dienst auch die Sitzungen zusammen mit „ihrem/ihrer“ Fachreferent*in vor. Außerdem unterstützen sie die Fachreferent*innen bei weitreichenderen Erwerbungsentscheidungen (z.B. hochpreisige Datenbanken) und Bestandsübernahmen, indem sie u.a. Verlagsangebote sondieren, Denial- oder Nutzungsstatistiken auswerten oder andere Produktinformationen vorab prüfen. Die Tandems treffen sich regelmäßig in einem Jour Fixe, um aktuell anliegende Themen zu besprechen. Einige Aspekte wurden zu Beginn der Zusammenarbeit in den Tandems jeweils allgemein festgelegt und im Intranet dokumentiert, wie z.B., bis zu welchem Betrag der/die Kolleg*in des gehobenen Dienstes berechtigt ist, ohne vorherige Rücksprache Anschaffungswünsche zu realisieren oder welche Besonderheiten ggf. bei der RVK-Vergabe oder der Aufstellung gedruckter Literatur zu beachten sind. Diese Regelungen haben die Tandems selbst vereinbart, es gab dort keine Vorgaben seitens der Abteilungs- oder Bibliotheksleitung. Die Zusammenarbeit in Tandems hat gegenüber einer Lösung, bei der alle Fachteammitglieder alle Fachreferent*innen in gleichem Maße unterstützen, den Vorteil, dass Fachreferent*in und Kolleg*in des gehobenen Dientes jeweils eine feste Kooperationsperson haben und mit dieser individuelle Absprachen treffen können, so dass effizient gearbeitet werden kann und kein unnötiger Zeitverlust durch zusätzliche Nachfragen entsteht. Außerdem können sich die in den Fachreferaten mitwirkenden Bibliothekar*innen so auf bestimmte Fachdisziplinen und deren Forschungsschwerpunkte und besondere Literaturbedarfe an der TU sowie die jeweiligen Angebote und Modelle der Verlage spezialisieren.
Um die Mitarbeiter*innen des gehobenen Dienstes mit den neuen Aufgaben nicht zu überladen, ist auch hier eine Entlastung, d.h. Aufgabenverlagerung, erforderlich. An der ULB Darmstadt delegiert der gehobene Dienst u.a. die Bereiche Katalogisierung von Publikationen TU-Angehöriger (einfachere Fälle), Ermittlung von Nummern von Entitäten (GND etc.) sowie perspektivisch die Qualitätsprüfung bzw. Ergänzung von XML-Daten an Kolleg*innen aus dem mittleren Dienst. Außerdem arbeitet die ULB daran, zukünftig passgenaue Erwerbungsvorschläge automatisiert auf der Basis von Datenauswertungen zu erhalten. Dabei sollen u.a. Publikations- und Zitationsaktivitäten von TU-Wissenschaftler*innen, Vorlesungs- und Literaturlisten von Dozent*innen (z.B. aus dem elektronischen Vorlesungsverzeichnis), Suchanfragen aus dem Discovery-System TUfind sowie Zugriffsstatistiken, beispielsweise für elektronische Monographien aus EBS-Modellen, ausgewertet und darauf basierend Anschaffungsvorschläge für die Bibliothek generiert werden. Dies wird den gehobenen Dienst bei der Literaturauswahl und -beschaffung zusätzlich unterstützen.
Das „neue Modell“ der innerbibliothekarischen Zusammenarbeit wurde in der ULB mehrfach in Informationsveranstaltungen, Teamsitzungen etc. vorgestellt und transparent kommuniziert. Änderungen bei den tariflichen Eingruppierungen waren im Zuge der Neuorganisation der Zusammenarbeit zwischen Fachreferent*innen, Bibliothekar*innen und FaMIs nicht erforderlich.
Die Umstellung erfolgt an der ULB sukzessive und nicht komplett für alle Fachreferate zum gleichen Datum. Dadurch können zunächst Erfahrungen gesammelt und die Beschäftigten mitgenommen werden. Auch in Fachreferaten, die noch nicht vollständig im neuen Modus arbeiten, in denen es also z.B. noch keine offiziellen Tandems gibt, sind Mitarbeiter*innen des gehobenen Dienstes bereits teilweise in die RVK-Vergabe oder einzelne andere fachreferatsunterstützende Aufgaben eingebunden. Viele Bibliothekar*innen empfinden dies auch als Bereicherung ihres Tätigkeitsspektrums. Bereits neu organisierte Fachreferate werden durch Feedbackgespräche mit der Abteilungsleitung regelmäßig evaluiert. Die „Learnings“ fließen in die zukünftigen Planungen und Entwicklungen mit ein.
Mit den Umstrukturierungen ist die Bibliothek imstande, die Bedarfe ihrer Zielgruppen auch zukünftig kompetent, zeitnah und passgenau sowohl inhaltlich als auch in der Vermittlung zu bedienen. Fachreferent*innen verfügen über ausreichend Kapazitäten, um sich neuen Aufgabenfeldern im Bereich der forschungsnahen Dienste und/oder Management- und Koordinationstätigkeiten zu widmen. Zudem sind sie mitunter auch als „Embedded Librarians“ in Forschungsprojekte mit Fachbereichen eingebunden bzw. leiten Projekte, in denen die Bibliothek mit Fachbereichen kooperiert. Das neue Modell ermöglicht eine sach- und kompetenzgerechte Beschäftigung in allen Dienstgruppen. Für Literaturerwerbung und -erschließung ist, wie bereits erwähnt, heutzutage dank der technischen Unterstützung kein Fachstudium mehr erforderlich. Budgetkontrolle und Lizenzverwaltung sind besser entweder zentral zu organisieren oder lassen sich zumindest vom Fachreferat entkoppeln.
Mit der Übernahme neuer Aufgaben in den Fachreferaten und den anderen Dienstgruppen bzw. den skizzierten Aufgabenverlagerungen ergeben sich „naturgemäß“ auch Herausforderungen. So besteht Fortbildungs- und Schulungsbedarf bei allen Beteiligten in den Bereichen digitales Publizieren, Forschungsdatenmanagement, Projektentwicklung und -durchführung, Semantic Web-Techniken, XML, Text und Data Mining, Internetstandards (z.B. RDF/DCAT/W3C),9 eXist,10 Normdaten etc. Außerdem müssen die geforderten neuen Kompetenzen zukünftig bereits in der Ausbildung bzw. im Studium vermittelt werden. Die ULB Darmstadt hat bereits begonnen, relevante Inhalte in die Qualifizierung des höheren und mittleren Dienstes zu integrieren. So wirken Referendar*innen beispielsweise vorübergehend in den Bereichen Forschungsdatenmanagement, WDM bzw. Text und Data Mining etc. mit und übernehmen dort kleinere Programmierarbeiten und Datenauswertungen oder erstellen Skripte. Auch FaMI-Auszubildende wachsen während ihres Durchlaufs durch die verschiedenen Bereiche der Bibliothek in die neuen Aufgaben bei Erwerbung und Erschließung hinein. Die in der Regel bereits gut qualifizierten Absolvent*innen der (Fach-)Hochschulen müssen Gelegenheit erhalten, ihre digitalen Kompetenzen in die praktische Arbeit einzubringen und ggf. noch auszubauen. Des Weiteren sind die Qualifikations- und Ausschreibungsprofile bei neu zu besetzenden Stellen anzupassen. Die ULB Darmstadt hat im Zuge dessen kürzlich ein Musterprofil für eine/n „Data Librarian“ im gehobenen Dienst erstellt. Demnach sollten Bewerber*innen neben allgemeinen Kenntnissen im Bereich Open Access und digitaler Langzeitarchivierung idealerweise über Kenntnisse in gängigen Datenformaten (insb. JATS, BITS, TEI)11 und Metadatenstandards (z.B. Dublin Core, CrossRef, DataCite, DCAT, METS, MARC, PREMIS, PICA),12 im Bereich der Datenmanipulation und -konversion auf der Grundlage von XML und/oder JSON sowie in einer gängigen Programmiersprache (z.B. Python, XSLT) verfügen oder zumindest die Bereitschaft signalisieren, sich diese anzueignen und in der Praxis anzuwenden. Mit diesen Kompetenzen sind Bewerber*innen imstande, bei WDM oder anderen forschungsnahen Diensten mitzuwirken bzw. zu unterstützen.
Die neuen Tätigkeiten führen zunächst zu einer Zusatzbelastung bei allen Dienstgruppen, da gegenwärtig nach wie vor auch im konventionellen Erwerbungs- und Erschließungsbereich oft noch ein unverändert hoher Workload besteht. Daher sollten die bisherigen Aufgaben und Angebote der Bibliothek kritisch überprüft und Priorisierungen vorgenommen werden. Ggf. ist es auch sinnvoll, sich von bestimmten Tätigkeiten und Services teilweise oder komplett zu verabschieden. Die ULB Darmstadt hat z.B. ihre Aktivitäten bei Geschenkannahmen, Tausch und Mitgliedschaften stark reduziert, weil dort der Aufwand mittlerweile in einem sehr ungünstigen Verhältnis zum Nutzen steht. Bestimmte Arbeiten können ggf. auch an externe Dienstleister vergeben werden. Derartige Maßnahmen setzen personelle Kapazitäten für die neuen Anforderungen frei.
Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung besteht ferner im mentalen Bereich. Fachreferent*innen mit langjähriger Berufserfahrung, deren Haupttätigkeit nicht selten über Jahrzehnte darin bestand, Fachliteratur zu erwerben und inhaltlich intellektuell zu erschließen, und die auch schwerpunktmäßig in diesen Gebieten ausgebildet wurden, fällt es oft schwerer, sich auf die neuen Aufgaben einzulassen und die bislang hauptsächlich von ihnen verrichteten Arbeiten an den gehobenen Dienst zu delegieren ‒ anders als Nachwuchskräften, die erst vor kurzem ein Referendariat, Volontariat oder einen Masterstudiengang absolviert haben. Ähnlich verhält es sich im gehobenen Dienst. Mit der Übernahme neuer Aufgaben bzw. den Verlagerungen geht auch ein neues Selbstbild und -verständnis der eigenen Tätigkeiten und Funktionen und somit der eigenen beruflichen Identität einher. Sind meine bisherigen Aufgaben jetzt weniger wert oder gar wertlos? Bin ich für die neuen Aufgaben ausreichend qualifiziert? Sind die anderen Dienstgruppen wirklich imstande, einen (Groß-)Teil meiner bisherigen Tätigkeiten zu übernehmen? Werden Personen (perspektivisch) immer mehr durch Maschinen oder Programme/Software ersetzt? Solche Fragen kommen mitunter auf und müssen aufgegriffen und beantwortet werden. Hier gilt es, Erklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten und die Hintergründe und Notwendigkeiten der Umstellung transparent zu kommunizieren. Erschwerend kommt hinzu, dass für die Neuorganisation der Fachreferate sowie die neu strukturierte innerbibliothekarische Zusammenarbeit aller Dienstgruppen bislang kaum Vorbilder oder Orientierungsmuster im Sinne von Role Models existieren.
Wie deutlich wurde, erfordern die geänderten Bedarfe der Zielgruppen wissenschaftlicher Bibliotheken sowie der technische Fortschritt nicht nur eine Neuausrichtung der Fachreferate, sondern führen davon ausgehend auch zu Aufgabenverlagerungen in den gehobenen und dort wiederum zu Delegationsprozessen in den mittleren Dienst. Mit der Neuorganisation der innerbibliothekarischen Zusammenarbeit versetzen sich wissenschaftliche Bibliotheken in die Lage, die Anforderungen ihrer Zielgruppen auch zukünftig passgenau bedienen zu können und ermöglichen zudem allen Mitarbeiter*innen weiterhin eine sach- und kompetenzgerechte Beschäftigung. Die Neuaufteilung von Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichen bietet außerdem eine Chance, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Dienstgruppen neu zu definieren und zu intensivieren. An der ULB Darmstadt waren und sind die Voraussetzungen dafür insofern relativ günstig, als Fachreferent*innen und Kolleg*innen aus dem gehobenen und mittleren Dienst in den Fachteams auch bislang schon eng zusammengearbeitet haben. Nicht zu unterschätzen sind gleichwohl die mit derartigen Umstrukturierungen verbundenen Herausforderungen im Rahmen des Changemanagements. Wenn langjährige oder gar über Jahrzehnte etablierte Tätigkeitsprofile und -verteilungen nicht nur geringfügig angepasst, sondern gravierend verändert werden, erfordert dies nicht nur Schulungsmaßnahmen und Fortbildungsbereitschaft bei allen Beteiligten, sondern auch eine mentale Umstellung bzw. ein geändertes Mindset. Dabei ist es wichtig, die Umstrukturierungen und deren Hintergründe seitens der Bibliotheksdirektion und der Abteilungsleitung transparent zu kommunizieren und zu erläutern und die Mitarbeiter*innen mitzunehmen, damit sie sich mit ihren neuen Aufgaben identifizieren und ihre Tätigkeiten weiterhin engagiert ausführen können. Fragen, Bedenken und Ängste müssen aufgegriffen und erstgenommen werden. Außerdem muss allen Beteiligten ausreichend Zeit für die Einarbeitung in die neuen Aufgabengebiete eingeräumt werden. Das funktioniert nicht von heute auf morgen.
Aus den bisherigen Erfahrungen der ULB Darmstadt kann empfohlen werden, die Fachreferate sukzessive neu auszurichten und diesen Prozess mit Feedbackgesprächen etc. zu begleiten und nicht alle Fächer zum gleichen Zeitpunkt umzustellen. Dieses Vorgehen bietet auch die Möglichkeit für (Zwischen)Evaluationen, aus denen Erkenntnisse für weitere Fachreferate gewonnen werden können. Gleichwohl müssen bei einer derartigen Neustrukturierung natürlich immer die spezifischen Voraussetzungen, Möglichkeiten und Ziele der jeweiligen Bibliothek berücksichtigt werden. Bei einer sukzessiven Umstellung ist es ratsam, mit Fachreferaten bzw. Mitarbeiter*innen zu beginnen, die dem neuen Modell aufgeschlossen gegenüberstehen und somit als positive Beispiele innerhalb der Bibliothek vorangehen können. Sie können damit andere Kolleg*innen, die vielleicht noch skeptisch sind, motivieren und ihnen als Vorbilder dienen.
Die ULB Darmstadt zieht aus den bislang neu organisierten Fachreferaten und begonnenen Aufgabenverlagerungen ein insgesamt sehr positives Resümee. Die Zusammenarbeit zwischen den Fachreferent*innen und den zugehörigen Bibliothekar*innen im Fachreferat funktioniert sehr gut. Die Fachreferent*innen nehmen ihre Tandempartner*innen als spürbare Entlastung und willkommene Unterstützung wahr und es findet eine kollegiale Zusammenarbeit auf Augenhöhe statt. Die ULB Darmstadt möchte andere Bibliotheken, die ähnliche Umstrukturierungen planen, hiermit ausdrücklich ermutigen, diesen Schritt zu gehen. Für Fragen, Austausch und Feedback stehen die Autorin und ihre Kolleg*innen jederzeit zur Verfügung. Interessierte werden auch über die weiteren Entwicklungen in der Bibliothek auf dem Laufenden gehalten.
Angela Hammer, Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt
ORCID: https://orcid.org/0000-0002-8711-3221